Die Kunst testet schon immer die Grenzen zwischen Realität und Illusion aus. In der neuen Ausstellung des Aachener Ludwig Forums können jetzt auch die Besucher der „Lust der Täuschung“ frönen.
Der „Abstieg in die Unterwelt“ ist nicht dabei. Gott sei Dank. Denn vor gut einem halben Jahr war ein 60-jähriger Italiener trotz Warnschilder und Aufsicht knapp zweieinhalb Meter tief in das Kunstwerk gestürzt, das der britische Künstler Anish Kapoor in das Museum Serralves in Porto gebaut hatte. Der Mann hatte die tiefschwarze, runde Fläche, Teil der Installation „Descent into Limbo“, nicht für das gehalten, was es tatsächlich ist: ein Loch. Sondern für dessen Illusion. Er hatte sich täuschen lassen – mit schmerzhaften Folgen.
Genau darum geht es bei der spektakulären Ausstellung im Aachener Ludwig Forum, die am 21. Februar eröffnet wird: um Täuschung, genauer: um die „Lust der Täuschung“. Zu erleben ist ein Parcours durch die Geschichte der Tricks, der Illusion, der Verführung, der kleinen Betrügereien in der Kunst, von der Antike bis zur Gegenwart. Die Schau ist ein Gemeinschaftsprojekt mit der Kunsthalle München.
Dort war sie bis Mitte Januar zu sehen und entwickelte sich zu einem echten Blockbuster: Über 280.000 Besucherinnen und Besucher ließen sich darauf ein. So viele werden es in Aachen unter Garantie nicht werden. „30.000 wären aber schön“, sagt Lufo-Direktor Andreas Beitin, der keinen Zweifel daran lässt, dass ein Projekt in dieser Größenordnung in Aachen allein nicht zu stemmen gewesen wäre.
Die Idee zu der Ausstellung ist sechs Jahre alt; Beitin entwickelte sie gemeinsam mit Kunsthallen-Direktor Roger Diederen. Vor zwei Jahren nahm das Projekt dann konkret Gestalt an.
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Virtuelles Modell des Aachener Doms
Denn auch das muss Gegenstand einer Ausstellung dieser Art sein: Fragen von Fälschung, Kopie oder Copyright. Ganz bewusst haben sich die Macher übrigens dagegen entschieden, Arbeiten von Wolfgang Beltracchi zu zeigen. „Die Grenze zum kriminellen Akt ist hier überschritten“, sagt Andreas Beitin.
In Aachen mit dabei sind auch Werke von Studierenden und Absolventen von Mischa Kuball, Professor an der Kunsthochschule für Medien in Köln. Und in einer Ecke kann man sich auf einen Rundgang durch ein virtuelles Modell des Aachener Doms machen – mit VR-Brille und Rechner auf dem Rücken. Entworfen hat das Prof. Leif Kobbelt mit seinen Studierenden am Visual Computing Institut der RWTH Aachen. Beide Hochschulen sind Kooperationspartner der Ausstellung.
Das Dom-Modell führt zu einer Verwirrung der Sinne, die unsere Vorstellung von Wirklichkeit heute allerdings nicht mehr erschüttern kann. Das war Ende des 19. Jahrhunderts noch ganz anders. Damals sorgte der einminütige Stummfilm „Die Ankunft eines Zuges am Bahnhof von La Ciotat“ der Kinopioniere Auguste und Louis Lumière noch für Panik im Saal – das Publikum ging in Deckung, weil es fürchtete, der Zug würde aus der Leinwand hinaus auf sie zufahren. Wer ihn heute sieht (im Lufo besteht dazu Gelegenheit), wird nur noch müde lächeln.
In die Tiefe stürzen
Da ist das Spektakel „Richie’s Plank Experience“ des Virtual-Reality-Trios ToastVR von ganz anderem Kaliber: Mit der VR-Brille auf der Nase fährt man in einem Hochhaus per Aufzug ganz nach oben, tritt auf einer schmalen, tatsächlich realen Holzplanke ins Freie – und schaut 80 Meter hinab. Das ist nichts für Menschen mit Hang zu Schwindelgefühlen. Wer mutig ist und die Planke verlässt, der erfährt am eigenen Leib, wie es sich anfühlt, in die Tiefe zu stürzen. Man kann darüber streiten, ob das Kunst ist. Effektvoll ist es allemal.
Quelle:
https://www.aachener-nachrichten.de/kultur/kunst/ausstellung-lust-der-taeuschung-im-ludwig-forum-aachen_aid-36760795
Foto
Nichts für schwache Nerven: Mit der Installation „Richie’s Plank Experience“ des Trios ToastVR kann der Besucher auf einem schmalen Brett in atemberaubenden Großstadtschluchten balancieren. Foto: © Toast VR