Keine Frage: Pflanzen im Arbeitszimmer sollten schon sein. Offenbar spielt es aber keine Rolle, ob sie echt sind. Denn Pflanzen haben auch in virtuellen Büro-Umgebungen eine positive Wirkung, sagt aktuelle Forschung aus Hamburg.
Zwischenzeitlich kam das Gefühl auf, dass dem Thema „Virtuelle Realität“ seit Mitte der 2010er etwas die Luft ausgegangen ist. Bis Apple dann Anfang Juni seine Vision Pro vorgestellt hat, eine vom ersten Eindruck her eine Art hochtechnologisierte Taucherbrille. Das Teil ist ein sogenanntes Mixed-Reality-Headset, das für sich stehend die neue Welt des Spatial Computings – also des räumlichen Rumcomputerns – zu erschließen versucht. Das liegt daran, dass so eine Brille nicht irgendwo angeschlossen wird, sondern ein Computer in sich darstellt. Mit einem zünftigen Preisschild hat das Gerät der virtuellen Welt einen Schub des technisch Machbaren verliehen. Keine Frage: Die Zeiten des verpixelt-verwackelten Stereobildschirms auf der Nase scheinen vorbei, fortan ist es also wirklich möglich, „drin“ zu sein.
Während Apple zeigt, was geht, ohne dass schon ein konkreter Anwendungsfall für die neue Raumzeit mit den Hufen scharrt, drehen Forschende aus Hamburg den Spieß um und zeigen, dass virtuelle Welten tatsächlich unserem Wohlbefinden zuträglich sein könnten. Ausgangspunkt des Teams ist unsere Entfremdung von Naturräumen. So mag es zwar infrastrukturell sinnvoll sein, wenn sich Menschen in Städten zusammenschließen. Das geht allerdings auch oft mit einem begrenzten Zugang zur Natur einher. Die Hälfte der Menschheit lebt bereits jetzt in urbanen Räumen, bis zur Mitte des Jahrhunderts sind es voraussichtlich 68 Prozent.Fehlen nur noch die Pflanzen. – Braucht keinen Bildschirm mehr, kostet aber auch mehr als einer – so zeigt Apple das Betriebssystem seines neuen Mixed-Reality-Headsets Vision Pro.Bildrechte: Apple Inc.
Gleichzeitig, betonen die Forschenden aus Hamburg, würde sich der Trend „weg vom Büro, hin zur Heimarbeit“ fortsetzen. Und sich schließlich zu „immersiven Arbeitsräumen“ weiterentwickeln. Also genau dieses Spatial Computing, das Apple vor ein paar Wochen vorgestellt hat. Folgerichtig ist es, dass nicht nur unsere Arbeitsumgebung im Raum schwebt. Sondern auch die Dekoration. Das interdisziplinäre Forschungsteam hat nun die Auswirkungen von virtuellen Pflanzen in einer virtuellen Büroumgebung auf die kognitiven Leistungen und das psychologische Wohlbefinden von Testpersonen untersucht.Bildrechte: MDR WISSEN
So viele RealitätenDa kann man schnell mal durcheinanderkommen. Also:
VIRTUAL REALITY bezeichnet einen komplett virtuellen Raum, der z.B. durch eine VR-Brille erzeugt wird, die betrachtende Person umgibt und auch ermöglicht, sich darin frei zu bewegen – zum Beispiel in einer bestimmten Landschaft.
AUGMENTED REALITY ist eine erweiterte Realität, und bezeichnet die Möglichkeit, die Realität durch virtuelle Elemente zu erweitern. AR-Apps für das Smartphone sind heute bereits üblich und reichen von Spielereien bis hin zum praktischen Maßband.
AUGMENTED VIRTUALITY (AV) ist das Gegenteil und bezeichnet die Anreicherung einer virtuellen Umgebung mit Elementen aus der Realität.
MIXED REALITY umfasst die beiden Welten der er erweiterten Realität (AR) und der erweiterten Virtualität (AV).
Für die Studie konzipierte das Team zwei Testumgebungen, in denen das virtuelle Büro entweder mit oder ohne Pflanzen verwendet wurde. Anschließend ließen sie 39 Probandinnen und Probanden Aufgaben zum Kurzzeitgedächtnis und zur Kreativität erledigen, während sich diese in den virtuellen Umgebungen aufhielten. Im Gegensatz zu früheren Arbeiten wurde das Vorhandensein oder Fehlen von Pflanzen isoliert untersucht, wodurch sichergestellt werden konnte, dass die beobachteten Effekte nicht auf anderen Störvariablen beruhen. Zusätzlich zu den kognitiven Tests bewerteten die Personen ihre Stimmung und Gefühle, nachdem sie beiden Umgebungen ausgesetzt waren.
Weniger Aggression, mehr Wohlbefinden
Und siehe da, ganz offensichtlich braucht es weder eine echte Monstera noch Baumstrelitzie für ein geradezu erholsames Arbeitsklima. Zumindest klingt die festgestellte Wirkung von Seiten der Forschenden eher nach Urlaub als nach Büroalltag: „Das virtuelle Büro mit Pflanzen wurde als erholsamer empfunden und vermittelte ein stärkeres Gefühl der Präsenz“, so Frank Steinicke, Mitautor der Studie und Leiter der Arbeitsgruppe Mensch Computer Interaktionan der Uni Hamburg. „Die Ergebnisse unserer Studie zeigen, dass die Teilnehmenden bei Anwesenheit virtueller Pflanzen sowohl bei Aufgaben für das Kurzzeitgedächtnis als auch bei Kreativitätsaufgaben deutlich besser abschnitten, als Personen, die keine Pflanzen in den virtuellen Büros hatten“, ergänzt Fariba Mostajeran, Erstautorin der Studie. Vor allem aber „berichteten sie über höhere Werte für das psychologische Wohlbefinden und über geringere Gefühle von Wut und Aggression.“
Es braucht ganz offensichtlich nicht mal Kunstpflanzen, um die Gemüter zu besänftigen. Und dürfte möglicherweise den Raum freimachen, für eine ganze Reihe immersiver Pflanzen-Apps. Eventuell sogar verschreibungsfähig mit Zuschuss der Krankenkasse. Eine Frage bleibt allerdings: Augmented Reality, Mixed Reality, Spatial Computing – das alles zielt auf eine Verschmelzung von Wirklichkeit und digitaler Umgebung ab. Währe es dann nicht das einfachste, die bereits vorhandenen echten Grünpflanzen einfach direkt hinter den virtuellen Desktop zu stellen?
Quelle:
Foto: Und jetzt tief durchatmen.Bildrechte: imago/Westend61
Die Studie Adding virtual plants leads to higher cognitive performance and psychological well-being in virtual reality erschien im Fachjournal Scientific Reports.
DOI: 10.1038/s41598-023-34718-3
https://www.mdr.de/wissen/pflanzen-virtuelle-realitaet-wohlbefinden-100.html