Auf der Seite „Virtuelles Bayern“ versammelt das Landesamt für Digitalisierung Gebäude und Sehenswürdigkeiten aus dem ganzen Freistaat. Das ersetzt zwar keinen Besuch, bietet aber gerade in Corona-Zeiten interessante Einblicke.
Auf dem Friedhof leuchten die Blumen, gelb, pink, weiß. Nur sind sie zu platt, als dass man sie aus dieser Vogelperspektive bestimmen könnte. Stattdessen drehen sich die Pflanzen und Gräber, die Kirche St. Nikolaus und ihre Umgebung beständig um einen unsichtbaren Mittelpunkt. Denn echt im traditionellen Sinne ist nichts, was sich auf dem Bildschirm zeigt: Friedhof, Münster, Nachbarhäuser, sie alle sind nur eine virtuelle Kopie des Originals in Münchsteinach. Allerdings eine, die sich in alle Richtungen kippen, schwenken und zoomen lässt.
Das Gebäudeensemble aus dem Landkreis Neustadt an der Aisch/Bad Windsheim ist das jüngste Modell in der Reihe „Virtuelles Bayern„, die das Landesamt für Digitalisierung im Internet versammelt hat. Ob Kirchen oder Theater, Schlösser oder Marktplätze, das Nürnberger Finanzministerium oder der Turm des Kontinentalen Tiefbohrprogramms in Windischeschenbach: Rund 100 Orte in Bayern lassen sich inzwischen dreidimensional am Computer bereisen. Und das in Corona-Zeiten auch noch gefahrlos. Weder läuft man bei diesen Ausflügen Gefahr, sich ein Virus von den Mitmenschen noch eine Erkältung vom Herbstwetter einzufangen.
Einer breiten Öffentlichkeit ist das Projekt bislang wenig bekannt. Was vielleicht auch daran liegt, dass der volle Titel des Landesamts – „für Digitalisierung, Breitband und Vermessung“ – auf viele Menschen eher abschreckend als anziehend wirken dürfte. Warum man trotzdem weitermache, begründet Amtschef Wolfgang Bauer damit, die „analoge Kartografie“ nach und nach in die „digitale Welt“ überführen zu wollen. In der biete eine Karte Nutzern mehr Möglichkeiten, als sie nur auseinander zu falten. Praktischer Nebeneffekt: Das Landesamt erfasst und vermisst Bayern nicht nur für die Behörden des Freistaats, sondern verkauft auch Geodaten und Kartenprodukte. „Virtuelles Bayern“ ist damit ein wenig als Werbung in eigener Sache zu verstehen.
Generell sind 3-D-Modelle zum Beispiel für Hersteller von Navigationssoftware interessant. Mit solchen arbeitet etwa Google in seinen Maps, um Sehenswürdigkeiten hervorzuheben. Und Tourismusverbände können virtuelle Welten zu Marketingzwecken nutzen – oder um all jenen einen Ort näher zu bringen, die ihn wegen mangelnder Barrierefreiheit nicht besuchen können.
Den Augsburger Dom kann man umrunden. Visualisierung: LDBV, Bearbeitung: SZ
Vor vier Jahren begann das Landesamt, bei Vermessungsarbeiten Gebäude dreidimensional zu erfassen. Hilfe leistete die Technische Universität München. Folgt man Bauers Erzählung, hat sich das Ganze gewissermaßen verselbständigt. Zwei Mitarbeiter des Landesamts fliegen mit einer Drohne die Objekte ab und fotografieren sie aus möglichst allen Winkeln. Die Aufnahmen werden in eine spezielle Software eingegeben, die daraus ein 3-D-Modell errechnet.
Für einen Drohnenflug veranschlagt Bauer vier bis fünf Stunden und für die Konfiguration der Software einen Arbeitstag. Die Berechnung des Modells erledigt der Computer dann alleine. Je nach Größe des Modells dauert das zwischen zwei und sechs Tagen. Supercomputer braucht es dazu nicht, laut Bauer genüge ein Heim-PC mit leistungsfähiger Grafikkarte und großem Arbeitsspeicher. Auch die Drohne sei „handelsüblich“, Anschaffungspreis 5000 Euro. Das wäre überschaubar, verglichen mit dem Aufwand, der sonst gerne in Bayern für Projekte aller Art betrieben wird.
Als 3-D-Modell kommt für das Landesamt alles in Frage, was irgendwie dem Freistaat gehört. Unter dem Schlagwort „Virtuelles Bayern“ findet sich deshalb das Gebäude der Vermessungsdienststelle Aschaffenburg neben der Burg Trausnitz, die über Landshut thront. Von einigen wenigen Sehenswürdigkeiten haben die Vermesser zudem virtuelle Innenansichten erstellt – so vom orientalisch anmutenden Türkischen Saal des Schachenhauses im Wettersteingebirge. Auch die Abbilder mehrerer Schulgebäude lassen sich besichtigen. Sie sind Ergebnisse von Projekttagen, an denen Schülerinnen und Schüler selber Modelle ihrer Schule erstellten.
Das Bayreuther Festspielhaus kann man von außen bewundern. Visualisierung: LDBV, Bearbeitung: SZ
Gegenüber der echten muss die virtuelle Realität freilich mitunter Zugeständnisse eingehen. Burgzinnen können in der Nahaufnahme klobig wirken, Fenster wie aufgemalt – und Blumen eben platt. Solche gröberen Texturen sind einerseits dem Auflösungsgrad der Drohenkamera geschuldet, der Entfernung zum Objekt beim Überflug oder einem ungünstigen Kamerawinkel. Andererseits soll das Ergebnis genauso auf schwächeren Computern darstellbar sein. Generell spricht Bauer von einem „Spagat“, der ihn auch schon in Konflikt mit der Schlösserverwaltung gebracht habe: Wie viel darf man von einer Sehenswürdigkeit im Internet vorab zeigen, ohne dass deshalb weniger Besucher kommen? Gute Frage. Zumindest in diesen distanzierten Corona-Zeiten könnte die Antwort leichter fallen.
Die 3-D-Modelle des „Virtuellen Bayerns“ gibt es im Netz unter https://www.virtuelles.bayern.de.
Quelle:
Foto: Neue Perspektiven: Diese 3-D-Modelle berühmter bayerischer Gebäude sind nur eine kleine Auswahl der rund 100 Orte, die digital zur Verfügung stehen. Hier kann man die Veste Oberhaus gegenüber der Passauer Altstadt in allen Details entdecken. Visualisierung: LDBV, Bearbeitung: SZ
https://www.sueddeutsche.de/bayern/bayern-sehenswuerdigkeiten-virtuell-1.5102990