Früher haben sie Computerspiele entwickelt, heute revolutionieren die Brüder Olmos aus Bonn die medizinische Lehre – und bekommen dafür sogar Lob von Tech-Schwergewichten wie Google, Apple und Microsoft.
Erst erscheint wie zum Greifen nahe im Raum ein menschlicher Körper, als sei er aus Glas, und zwischen seinen Rippen erkennt der Betrachter die Lunge. Ein Klick und das rote Organ dreht sich allein im Raum, man kann es virtuell zerschneiden und die Bläschen und Verästelungen sehen. All das findet auf dem Bildschirm eines iPads statt, das auch den realen Raum zeigt und daher die Illusion weckt, die Lunge sei jetzt wirklich da.
„An den Verdickungen erkennt man, dass es sich um COPD handelt, eine Atemwegserkrankung“, erklärt Pablo Olmos. Auch Veränderungen durch Asthma oder Lungenkrebs lassen sich mit einem Klick visualisieren. „Wir wollen das Lernen verändern, indem wir die Möglichkeiten der neuen Technologien nutzen: Je passiver Sie lernen, desto schneller vergessen Sie es, je aktiver Sie an etwas teilnehmen, desto stärker werden Informationen verankert.“ Info So funktionieren AR und VR
Augmented Reality Der Betrachter sieht auf dem Bildschirm eines Smartphones oder Tablets nicht nur das Bild einer Kamera, sondern auch digitale 3D-Bilder.
Virtuelle Realität Ein in einer VR-Brille digital erzeugter Raum vermittelt den Eindruck, man bewege sich in einer realen Welt.
Pablo Olmos (49) und sein drei Jahre jüngerer Bruder Rodrigo sind Gründer und Geschäftsführer des Bonner Unternehmens Anima Res. Selbstständig gemacht haben sich die beiden Designer bereits 1997, zunächst entwickelten sie Computerspiele und Spezialeffekte für Film und Fernsehen. Über einen Kunden, der Kontakt zu Pharmaunternehmen hatte, kamen sie 2005 darauf, medizinische Inhalte zu visualisieren. Erst in 3D-Videos, mit der Weiterentwicklung hin zu interaktiven Formen der 3D-Technik wie virtuelle Realität (VR) oder erweiterte Realität (AR) tüftelten sie an immer neuen Anwendungen.
„Wir wollen die medizinische Lehre in ein neues Jahrtausend führen, denn viele Dinge können Bilder und Videos nicht“, sagt Pablo Olmos. 2013 dachten sie in einem Artikel in einer Pharmazeitschrift „laut darüber nach“, was man mit gemischter Realität alles anfangen könnte. In ihrem Spezialgebiet medizinische Lehre aber gab es dabei noch nicht viel. „Wir haben dann gemerkt: Wir müssen uns anders aufstellen, um auf dem Zukunftsmarkt zu bestehen.“
2016 haben sie bei Anima Res einen kompletten Neustart unternommen und ein Team zusammengestellt, das feststellen sollte, welche Plattformen mit den neuen Anwendungen bedient werden können. „Hätten wir diesen Sprung nicht vollzogen, gäbe es uns vielleicht heute nicht mehr in dieser Form.“
Schnell wurden die Großen der Branche in Kalifornien auf sie aufmerksam: „Wir sind in Cupertino eingeflogen worden“, berichtet Rodrigo Olmos und meint damit die Zentrale von Apple. Ebenso erging es ihnen mit Google und Microsoft: „Alle attestierten uns, dass unsere Apps State of the Art sind.“
Die Anwendungen für Lehre und Lernen können in gängigen App-Stores heruntergeladen werden, teilweise sogar kostenlos, andere sind für 2,29 Euro erhältlich, so „Insight Heart“, wo man alles über das Herz und seine Störungen lernen und sie auch sehen kann. Das geht auch ganz ohne besondere Brillen. Nicht zugängig für die Öffentlichkeit sind Projekte für Pharmavertreter, die mithilfe der Apps Ärzten die Wirkungsweise von Medikamenten visualisieren.
Der Bereich medizinische Lehre ist der Zweig von Anima Res, der noch im Aufbau ist und daher als Start-up verstanden werden kann. Dabei wachsen sie inzwischen stark, innerhalb eines Jahres stieg die Mitarbeiterzahl von 16 auf 23, der Umsatz liegt im einstelligen Millionenbereich, mehr wollen die Bonner Brüder nicht verraten. Beide haben Design studiert, der eine in Bonn und London, der andere in Köln.
Als digitales Unternehmen hat die Corona-Pandemie Anima Res eher noch weiter nach vorne gebracht: Als Präsenzveranstaltungen nicht mehr möglich waren, haben sie schnell eine web-basierte Plattform entwickelt, auf der ihre interaktiven 3D-Inhalte genauso wie vorher genutzt werden können.
Dass sie das Gebiet Lehre und Unterricht so gepackt hat, dürfte auch mit ihren Familien zu tun haben, denn beide Geschäftsführer sind mit Lehrerinnen verheiratet. Der Medizinsektor sei natürlich sehr speziell. Für die einzelnen Projekte stehen ihnen daher medizinische Berater zu Seite, andere IT-Spezialisten sind auf Projektbasis eingebunden.
Im Rahmen der Insight-Serie, wo man bisher Lunge und Herz studieren kann, soll bald etwas Neues kommen. „Insight Heart“ werde heute schon in Schulen etwa in Schweden, Australien, England und Italien eingesetzt. Nur in Deutschland noch nicht: „Dabei würden wir den Standort Deutschland gern stärken“, sagen sie.
Corona hat nun auch Pablo und Rodrigo Olmos, die manchmal in einer Woche in vier verschiedenen Ländern unterwegs sind, beim Reisen eingeschränkt. Stillstand bedeutet das nicht: „Wir verbringen einen erheblichen Teil unserer Zeit damit, über Neues nachzudenken.“
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Foto: Pablo und Rodrigo Olmos (von links) sind die Gründer und Geschäftsführer von Anima Res. Auf dem Foto zeigen sie die App „Insight Lung“. Foto: Benjamin Westhoff