Das Lehren und Lernen mit digitalen Technologien nimmt auch in der Pflegebildung Fahrt auf. Die Autorinnen beschreiben am Beispiel des Studiengangs Lehramt Pflege für berufsbildende Schulen an der Universität Koblenz die Einsatzmöglichkeiten von virtueller Realität in der Ausbildung und die Befähigung künftiger Lehrpersonen im Umgang mit dem neuen Medium.
Virtual-Reality-Brillen sind ein Beispiel für ein digitales Medium, das seit geraumer Zeit in der Aus-, Fort- und Weiterbildung der Gesundheitsfachberufe zum Einsatz kommt. Virtual Reality (VR) bedeutet, in eine künstlich beeinflussbare Umgebung eintauchen zu können, die parallel zur wahrnehmbaren Realität existiert [1]. Das Gefühl des Eintauchens in die virtuelle Welt wird als Immersion bezeichnet [2]. Um diese Anwendungen in ihre künftige Lehrpraxis zu integrieren, brauchen Lehrpersonen umfassende Vorbereitungen und Kenntnisse über VR- und AR-Technologien sowie die institutionelle Unterstützung von Bildungseinrichtungen [3]. Das Engagement und die Mitwirkung der Lehrpersonen sind Schlüsselfaktoren für eine erfolgreiche Implementierung neuer Technologien in der Pflegebildung [4].
Rolle von Lehrpersonen in der Pflegebildung
Sowohl die Europäische Union als auch die Kultusministerkonferenz der Länder haben Qualifikations- und Kompetenzrahmen für die digitalen Kompetenzen von Lehrpersonen verfasst [5, 6]. Diese sollen mit diesen Rahmenvorgaben die Unterrichts- und Schulentwicklung aktiv und zukunftsorientiert gestalten. Dies unterstreicht die Notwendigkeit, digitale Kompetenzen von Lehrpersonen bereits im Rahmen eines Lehramtsstudiengangs zu fördern.
Die Universität Koblenz engagiert sich mit dem Projekt DiKo²Lab in der Implementierung von Strukturen zur Förderung digitalisierungsbezogener Kompetenzen in der Lehrkräftebildung. Dank des Sondervermögens zur nachhaltigen Bewältigung der Coronapandemie partizipierte auch das Institut für Pflegewissenschaft mit der Anschaffung einer VR-Anwendung in Form von Soft- und Hardware zum Trainieren von Notfallsituationen. Diese Investition in die Zukunft soll Studierende motivieren, die im Studium gesammelten Erfahrungen in ihre künftige Lehrpraxis gewinnbringend zu integrieren.
Der Qualifikationsrahmen DigCompEdu
Der europäische Qualifikationsrahmen DigCompEdu zur Förderung der digitalen Kompetenzen von Lehrpersonen bietet geeignete Reflexionsflächen, um in der Hochschullehre neue didaktische Perspektiven für die Ausbildung künftiger Lehrpersonen einnehmen zu können. Zur Entwicklung von hochschuldidaktischen Formaten sind einerseits sechs Kompetenzbereiche und andererseits Kompetenzstufen des europäischen Qualifikationsrahmens richtungsweisend. Zu den Kompetenzbereichen gehören:
- Bereich 1 – Professionelles Engagement – zielt auf die grundsätzliche Nutzung digitaler Technologien zur Kommunikation, Zusammenarbeit und Weiterentwicklung des Berufsfelds ab.
- Bereich 2 – Digitale Ressourcen – umfasst das eigene Produzieren und Teilen digitaler Ressourcen.
- Bereich 3 – Lehren und Lernen – meint die Handhabung und Gestaltung des Einsatzes digitaler Technologien im Lehren und Lernen.
- Bereich 4 – Bewertung – betrifft den Einsatz digitaler Technologien und Strategien zur Verbesserung der Leistungsbewertung und Kompetenzentwicklung.
- Bereich 5 – Befähigung der Lernenden – soll mittels digitaler Technologien die Integration, Personalisierung und das aktive Engagements der Lernenden verbessern.
- Bereich 6 – Förderung der digitalen Kompetenz der Lernenden – befähigt die Lernenden zur kreativen und verantwortungsvollen Nutzung digitaler Technologien für Information, Kommunikation und Erstellung von Inhalten und sorgt für Wohlbefinden und Problemlösung durch die Lehrpersonen [5].
Entwicklung digitaler Kompetenzen
Die Kompetenzentwicklung der Lehrpersonen kann in den einzelnen Bereichen unterschiedlich verlaufen. Bedeutsam ist daher, die einzelnen Stufen zur Bewertung der digitalen Kompetenzen der Lehrpersonen oder der Lehramtsstudierenden einzuschätzen und weiterzuentwickeln. Die sechs Kompetenzstufen gliedern sich in die Ebenen A, B, und C:
- Einsteigerinnen und Einsteiger (A1) haben noch wenig Kontakt mit digitalen Medien und brauchen Hilfe, um ein Repertoire an digitalen Strategien aufzubauen.
- Entdeckerinnen und Entdecker (A2) haben digitale Medien bereits für sich entdeckt und begonnen, diese in ihrem beruflichen Umfeld einzusetzen, ohne jedoch ein umfassendes eigenes Konzept zu verfolgen.
- Insiderinnen und Insider (B1) setzen digitale Medien zu unterschiedlichen Zwecken sowie in verschiedenen Zusammenhängen ein. Sie entwickeln ihre persönlichen digitalen Strategien stetig weiter, um besser auf unterschiedliche Situationen eingehen zu können.
- Expertinnen und Experten (B2) nutzen eine Auswahl digitaler Medien kompetent, kreativ und kritisch. Sie erweitern kontinuierlich ihr Repertoire an digitalen Praktiken.
- Leaderinnen und Leader (C1) haben ein breites Repertoire an flexiblen, umfassenden und effektiven digitalen Strategien.
- Vorreiterinnen und Vorreiter (C2) stellen die Angemessenheit üblicher digitaler und didaktischer Praktiken infrage. Sie entwickeln neue und innovative digitale Lehrstrategien und sind ein Vorbild für andere Lehrpersonen [5].
Die Verschränkung der beschriebenen Perspektiven ermöglicht eine exemplarische Konkretisierung der Kompetenzen, die angehende Lehrpersonen im Studienprozess erlangen können.
VR-Notfallsimulation in der Pflegebildung
Im Studiengang Lehramt Pflege für berufsbildende Schulen kommt eine VR-Anwendung zur Simulation von Notfallszenarien exemplarisch zum Einsatz. Die Studierenden bekommen im Sinne des „pädagogischen Doppeldeckers“ [7] die Möglichkeit, einerseits Szenarien zu konzipieren und diese aus der Rolle der Trainerin oder des Trainers zu moderieren oder andererseits die Rolle der Lernenden einzunehmen, um die Methode zu erleben. Die VR-Anwendung ist geeignet, im Sinne des Ausbildungsziels nach § 5 (3) 1.h) Pflegeberufegesetz („Einleitung lebenserhaltender Sofortmaßnahmen bis zum Eintreffen der Ärztin oder des Arztes und Durchführung von Maßnahmen in Krisen- und Katastrophensituationen“) situations- und kompetenzorientierte Simulationstrainingseinheiten zu konzipieren.
Gemäß der curricularen Einheit (CE) 06 des Rahmenlehrplans „In Akutsituationen sicher handeln“ sind die konkreten Kompetenzen zur Bewältigung akuter Notfallsituationen bereits in den ersten beiden Ausbildungsdritteln anzubahnen. Im dritten Ausbildungsdrittel sind diese zur Erhöhung der Handlungs- und Patientensicherheit erneut aufzugreifen und gegebenenfalls um komplexere Notfallsituationen zu ergänzen [8]. Das fallorientierte-simulative Lernen sowie das Lernen in einem Skills-Lab mit Phantomen könnte im Bereich des arbeitsorientierten Lernens, am Lernort Schule, durch VR-Anwendungen ergänzt werden [9]. Die Studierenden bereiten die Notfallsituation als virtuellen Lerngegenstand didaktisch auf, erproben und evaluieren sie.
Der Einsatz von VR fällt in die Kategorie des simulativen Lernens. Es ist folglich bei der Entwicklung der Szenarien auf fachdidaktischen Bezug im Sinne der Falldidaktik zu achten. Geeignet sind zum Beispiel die konstitutiven Elemente einer Pflegesituation nach Hundenborn [10, 11]. Dies bedeutet, dass das Notfallgeschehen niemals nur isoliert zu betrachten ist, sondern auch eine didaktische Aufbereitung der Interaktionsstrukturen und des Pflegesettings erfolgen muss, um diese in konkrete Handlungsoptionen im simulierten Notfall einzubinden. Das subjektive Erleben und Verarbeiten der Notfallsituation seitens der Betroffenen und deren Bezugspersonen lässt sich mithilfe von Storytelling im Rahmen der Moderation unterfüttern [11]. Neben der Entwicklung des Szenarios wird eine hohe fachliche Expertise von den Lehrpersonen erwartet, die den Verlauf der Szene durch Steuerung der virtuellen, zu versorgenden Person bestimmen. Neben den fachdidaktischen und pflegefachlichen Dimensionen rückt die digitale Kompetenz durch dieses Lernangebot in den Fokus.
Förderung im Lehramt Pflege
Der Einsatz der VR-Anwendung im Lehramt Pflege an der Universität Koblenz zielt damit auf folgende Kompetenzbereiche der künftigen Lehrpersonen ab:
- Berufliches Engagement: Der Einsatz der VR-Anwendung bahnt im Seminar über den Austausch von Erfahrungen und Materialien die Kompetenz an, mit anderen Lehrpersonen zusammenzuarbeiten. Die Studierenden konzipieren beispielsweise eine Lehrsequenz in Form eines gemeinsamen Schnuppertags für Auszubildende und Lehrpersonen an ihrem Praktikumsort. Im Anschluss sollen sie die eigene Praxis hinsichtlich des didaktisch sinnvollen Einsatzes digitaler Medien reflektieren, selbstkritisch beurteilen und aktiv weiterentwickeln. Abschließend ist das Lehr- und Lernangebot sowohl mit den Auszubildenden als auch mit den Lehrpersonen kritisch zu diskutieren.
- Lehren und Lernen: Angehende Lehrpersonen sollten Kompetenzen zum Einsatz digitaler Geräte und Materialien im Unterricht erlangen. Dazu zählt eine lernzielorientierte Planung und Gestaltung, zur Verbesserung der Lernergebnisse anhand digitaler Medien. Neue Formate und didaktische Methoden für den Unterricht sollen auf diesem Weg entwickelt, ausprobiert und evaluiert werden.
- Kollaboratives Lernen: Digitale Medien sollen kollaborative Lernstrategien fördern und verbessern. Die VR-Anwendung bietet die Option, sowohl in Präsenz als auch in Form des Online-Lernens Lerngruppen gemeinsam in einem Szenario arbeiten zu lassen. Digitale Medien sollen zum Einsatz kommen, um den Lernenden gezielt und zeitnah Feedback zu geben. Die VR-Anwendung ermöglicht ein detailliertes Debriefing mit 3D-Replay sowie -Auswertung und ermöglicht so ein differenziertes Feedback zum Handeln in der Notfallsituation.
- Verantwortungsvoller Umgang mit digitalen Inhalten: Im Gegensatz zur realen Notfallsituation bietet die VR-Anwendung sehr gute Möglichkeiten, den entstehenden Stress im echten Notfall zu thematisieren. Im Debriefing nach dem Training sollte auch das Stresserleben in der Übungssituation besprochen werden. Über eigene Erfahrungen in den Lehrveranstaltungen finden die Studierenden einen Zugang zum Stresserleben der Auszubildenden, die im Praktikum die Anwendung nutzen werden.
Herausforderungen und Chancen
VR-Anwendungen eröffnen Potenziale, die Ausbildung künftiger Pflegefachpersonen zu verändern. Um diese Potenziale gewinnbringend zu nutzen, muss sich die Berufsgruppe mit den Expertisen der Pflegewissenschaft, der Pflegefachdidaktik und der Pflegepraxis aktiv an der Entwicklung der Technologie beteiligen und mit den Unternehmen zusammenarbeiten, die die Technologie entwickeln [12].
Die im Studiengang Lehramt Pflege eingesetzte VR-Anwendung bietet die Option, bis zu vier Personen als Team in der Notfallsituation agieren zu lassen. Die digitale Technik, die dabei zum Einsatz kommt, wird sich weiterentwickeln. Die Studierenden erlangen einen ersten Einblick in diese Möglichkeiten und bekommen somit Anschluss an künftige Entwicklungen. Es ist zu erwarten, dass im Pflege- und Gesundheitsbereich zum Beispiel die jährlichen Pflichtfortbildungen künftig digital über Bildungsserver erfolgen. Die Studierenden sind potenzielle Gestalterinnen und Gestalter derartiger Fortbildungen. Ziel ist es, die dazu erforderlichen digitalen Kompetenzen bereits im Studium anzubahnen.
Kritisch diskutiert wird beim Einsatz von VR in der Pflegebildung der fehlende Beziehungskontakt und die fehlende authentische Begegnung mit den zu pflegenden Menschen. Es ist fraglich, ob sich mit VR diese Lernerfahrung tatsächlich sicherstellen lässt. Daher sollte auf die Begleitung erfahrener Tutorinnen und Tutoren in der praktischen Ausbildung nicht verzichtet werden [13]. VR ist eine Ergänzung des Methodenspektrums, sie kann jedoch das Lernen in der Praxis nicht ersetzen. Im Sinne des Notfalltrainings bietet sie eine sehr gute Möglichkeit, spielerisch und angstfrei in Notfallsituationen einzutauchen und diese virtuell zu bewältigen. Die Vor- und Nachteile des virtuellen Lehrens und Lernens lassen sich so im Studium selbst erfahren und reflektieren.
Literatur
[1] Zobel B, Wernig S, Metzger D, Thomas O. Augmented und Virtual Reality. Stand der Technik, Nutzenpotenziale und Einsatzgebiete. In: de Witt C, Gloerfeld C. Handbuch Mobile Learning. Wiesbaden: Springer; 2018: 123–140
[2] Sherman W R, Craig A B. Understanding Virtual Reality. Interface, Application and Design. Morgan Kaufmann; 2003
[3] Aebersold M et al. Interactive anatomy-augmented virtual simulation training. Clinical simulation in nursing 2018; 15: 34–41
[4] Irwin P, Coutts R. A systematic review of the experience of using Second Life in the education of undergraduate nurses. Journal of Nursing Education 2015; 54 (10): 572–577
[5] Redecker C. European Framework for the Digital Competence of Educators: DigCompEdu. In: Punie Y. (Hrsg.). EUR 28775 EN. Luxembourg: Publications Office of the European Union; 2017. Im Internet: https://joint-research-centre.ec.europa.eu/system/files/2018-09/digcompedu_leaflet_de_2018-01.pdf; Zugriff: 26.03.2025
[6] Kultusministerkonferenz der Länder. Lehren und Lernen in der digitalen Welt (2021). Im Internet: https://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2021/2021_12_09-Lehren-und-Lernen-Digi.pdf; Zugriff: 26.03.2025
[7] Wahl D. Mit Training vom trägen Wissen zum kompetenten Handeln? Zeitschrift für Pädagogik 2002; 48 (2): 227–241.
[8] Fachkommission nach § 53 Pflegeberufegesetz. Rahmenpläne der Fachkommission nach § 53 PflBG. 2., überarb. Aufl. (2020). Im Internet: https://www.bibb.de/dienst/publikationen/de/16560; Zugriff: 26.03.2025
[9] Dehnbostel P. Lernen im Prozess der Arbeit. Münster: Waxmann; 2007
[10] Hundenborn G. Fallorientierte Didaktik in der Pflege: Grundlagen und Beispiele für Ausbildung und Prüfung. München/Jena: Urban & Fischer Verlag/Elsevier GmbH; 2007
[11] Lerner D, Mohr S. Lehren und lernen mit virtuellen Patienten? Pflegezeitschrift 2021; 74 (3): 46–48
[12] King D, Tee S, Falconer L et al. Virtual health education: Scaling practice to transform student learning: Using virtual reality learning environments in healthcare education to bridge the theory/practice gap and improve patient safety. Nurse Education Today 2018; 71: 7–9
[13] Dean S et al. Nursing education, virtual reality and empathy? Nursing Open 2020; 7 (6): 2056-2059
Quelle:
Foto: © Doppelfeld_Läpple/Uni Koblenz
https://www.bibliomed-pflege.de/news/digitale-kompetenzen-erwerben-1