Ein Düsseldorfer Park ist gefüllt mit Skulpturen, die nur mit einer App sichtbar sind. AR-Kunst umgibt den Betrachter wie ein Computerspiel – und bleibt gerade deshalb seltsam entrückt.
An einem kühlen Tag im August ist im Düsseldorfer Hofgarten wenig los. Ein paar Hundebesitzer gehen spazieren, auf einer Parkbank trinkt ein Mann ein Dosenbier. Eichhörnchen springen über leere Wiesen. Das ist die Welt, die wir alle kennen.
Doch da gibt es auch noch eine andere, versteckte Welt im Park vor dem NRW-Kunstforum. In dieser anderen Realität schwebt eine silberne Bohne von der Größe eines Lkw über den Eichhörnchen. Vor dem Mann mit dem Bier türmt sich baumhoch ein pinkfarbener Gummischlauch in der Art eines Ballontiers, darauf turnt ein Cartoon-Zwerg herum. An einer anderen Stelle fliegen blaue Blasen durch die Luft, gesteuert durch einen Algorithmus, der auf Luftverschmutzungen reagiert. Manche der Spaziergänger haben virtuelle Doppelgänger, die ihnen nicht von der Seite weichen.
Die knallige Fantasiewelt entsteht in einer App. Wer sie herunterlädt, kann Skulpturen und Animationen in den Park nahe des Rheins projizieren. Dafür muss mit dem Smartphone ein Code gescannt und die Kamera im richtigen Winkel ausgerichtet werden. Trifft sie den vorgesehenen Spot, werden auf dem Bildschirm Skulpturen, Flugobjekte oder tanzenden Elfen erzeugt. 13 Erscheinungen sind kostenfrei, 22 weitere können für 5,49 Euro freigeschaltet werden.
Teletubbies zu Besuch
Augmented Reality (AR) nennt sich die Bildschirm-Berieselung, es bedeutet erweiterte Realität. Anders als bei Virtual Reality ist ihr Ziel nicht das Eintauchen in eine andere Welt, sondern das Erzeugen einer Illusion, einer Erscheinung in der geläufigen Umgebung.
Die Technik gehört für viele Menschen längst zum Alltag. Seit 2016 jagen mehr als eine Milliarde Menschen im Spiel »Pokémon Go« virtuelle Fantasiewesen. Snapchat- oder Instagram-Nutzer setzen sich für Selfies Katzenohren auf. In der etwas behäbig tickenden Kunstwelt gilt AR jedoch jetzt erst als dernier cri. Wer den Anschluss nicht verlieren will, beschäftigt sich damit genauso wie mit NFTs oder künstlicher Intelligenz. Oft heißt es, diese Technologien seien die Zukunft der Kunst, auch Ólafur Elíasson hat ein AR-Projekt.
Das NRW Kunstforum hat deshalb gleich mal mutig eine »AR Biennale« ausgerufen, es ist eine der ersten Ausstellungen dieser Art in Deutschland, ein Spektakel auf dem Vorplatz des Museums und im Park. In der Nachbarschaft ragen ehrwürdige Institutionen auf: Standesamt, Kunstpalast und der Konzertsaal der Symphoniker. Auch in Köln und Essen sind einige QR-Codes angebracht.

Lauren Lee Mc Carthy möchte mit der App Menschen auf Parkbänke einladen Foto: Livia Foldes
AR birgt große Möglichkeiten für neue Sichtweisen. Der Anblick der Welt kann auf eine Art verändert werden, die unser Denken in andere Richtungen lenkt. Die Technik ist zudem billig, flexibel und umweltbewusst. Jeder Parkplatz kann zum Ausstellungsort werden, keine Skulptur muss verschifft, keine Versicherung bezahlt werden.
Doch man merkt in Düsseldorf, dass AR ein noch ungewohntes Medium ist. Viele der Werke setzen auf verblüffende Effekte, kuratorisch fehlt ihnen aber eine inhaltliche Klammer. Im Hof vor dem Museum schwebt ein bräunlicher Wurm mit glänzenden Zitzen und Maulwurfsgesicht. Er heißt Genius Loci, also Geist des Ortes – warum, bleibt unklar. Es ist, als kämen Teletubbies, Spongebob und Peter Pan gemeinsam zum Spielen vorbei.
Mehr Miteinander durch noch mehr Screens?
Es geht bunt und kitschig zu, oft noch mit Soundeffekten angereichert. Doch nur wenige Werke weisen über die Form und sich selbst hinaus. Es bleibt bei der technischen Spielerei. Einige Arbeiten zitieren Vorlagen, die woanders real existieren, so etwa die ikonische Stahlbohne »Cloud Gate« des britischen Künstlers Anish Kapoor in Chicago. Die App zeigt sie nun in Düsseldorf – aber ist das dann gleich hohe Kunst?
Die Programmiererin Lauren Lee Mc Carthy gehört zu den bekannteren Namen der Schau. Sie überschrieb acht Parkbänke mit Zuweisungen wie »Dieser Platz ist für Menschen, die eine Entscheidung bereuen« und »Dieser Platz ist für Menschen, die jemanden vermissen«. Die Schriftzüge tauchen in der App über den Sitzgelegenheiten auf, in der Hoffnung, dass Besucher ihre Seelenverfassung mit dem Niederlassen offenbaren und so darüber ins Gespräch kommen. Ein hehrer, aber vielleicht etwas naiver Wunsch nach sozialem Miteinander.

Diese Buchstaben von Andy Picci fließen wie Quecksilber über die Parklandschaft
Sicher dürfte sein, dass die AR Biennale ein technikaffines, junges Publikum anziehen wird, ihre Niedrigschwelligkeit tut gut. Sie erfordert nicht, die Treppenstufen eines einschüchternden Gebäudes zu erklimmen, Eintritt zu bezahlen und den Rucksack abzugeben. Keiner muss leise sein oder darf nichts anfassen. Man kann hier Spaß haben, mit dem Handy, ohne sich klein zu fühlen. Wer fotografieren und posten will, darf das gern tun. Die Kunstwelt wird mehr von diesen Ausstellungen brauchen, wenn sie nachfolgende Generationen zu Kulturkonsum erziehen will. Spielerisch, vielleicht sogar mit einem Bier in der Hand.
Technik lenkt den Blick
Ob die »Pokémon Go«-Ästhetik mit In-App-Käufen sich durchsetzen wird? Ist die gamifizierte Welt wirklich eine Erweiterung des Kunstbegriffs – oder dessen Kapitulation vor dem Siegeszug der Unterhaltungstechnik?
Diese Fragen werden sich wohl erst in einigen Jahren beantworten lassen, wenn sich für diese Darstellungsformen ein Bezugsrahmen gefunden hat. Solange aber noch die Kriterien zur Bewertung von Kunst im Digitalen fehlen, traut sich niemand zu sagen, ob der maulwurfige Genius Loci von Theo Triantafyllidis einen bleibenden Wert hat oder nur ein netter Gag ist. »Wir versuchen hier etwas völlig Neues. Ich bin aufgeregt wie vor fast keiner anderen Ausstellung«, sagte Museumsleiter Felix Krämer kurz vor der Eröffnung.
Kein Wunder, denn die Technik hat den Blick auf die Kunst hier voll im Griff. Verbraucht sich beim Herumspielen im Park etwa das Datenvolumen des Mobilgeräts, kann kein QR-Code mehr gescannt werden. Die Biennale-App saugt außerdem immens Energie. Für Besucher mit älteren Akkus könnte schon nach der vierten Skulptur Schluss sein.
Aber vielleicht lenkt jemand, dessen Akku sich an AR verausgabt hat, seine Schritte noch in die Sammlung des benachbarten Kunstpalasts und tauscht seinen Bildschirm gegen Leinwände. Dort kann man alternativ betrachten, wie viel Inspiration aus dem Barock in modernen Gemälden steckt. Kunst aus 350 Jahren, ganz analog, auch ohne Datenvolumen zu erkunden.
Ausstellung: AR Biennale, NRW Forum Düsseldorf, Ehrenhof und Hofgarten, 21. August 2021 bis 20. Februar 2022
Quelle:
Von Chicago nach Düsseldorf: AR-Kopie einer Skulptur von Anish Kapoor