Mit einer Datenbrille könnten angehende Chemielehrer künftig den sicheren Gebrauch von Bunsenbrenner und Co. erproben. Erst nach dem Training in der künstlich geschaffenen Umgebung geht es an die echten Experimente.
Bevor ein Pilot ein echtes Flugzeug fliegen darf, muss er unzählige Stunden auf dem Simulator üben – brenzlige Situationen inklusive. Auch Chirurgen lernen ihre Operationstechniken heute nicht mehr nur an realen Menschen, sondern mithilfe von Simulationen. Diese Vorbilder standen am Anfang der Überlegungen von Timo Fleischer, Leiter der Arbeitsgruppe Didaktik der Chemie an der Uni Salzburg.
Er suchte eine Möglichkeit, Studierende des Fachs Chemie den sicheren Gebrauch jener Gerätschaften zu lehren, mit denen sie dann große und kleine Experimente durchführen können. Die Simulation eines Chemielabors, in dem man gefahrlos alles ausprobieren und die nötigen Handgriffe üben kann, war für ihn die naheliegende Lösung. Um seine Idee zu realisieren und eine entsprechende virtuelle Umgebung zu kreieren, holte Fleischer die FH Salzburg an Bord. Markus Tatzgern, Fachbereichsleiter Game Development & Mixed Reality am Studiengang MultiMediaTechnology, brachte die Expertise für die Umsetzung des Virtual-Reality(VR)-Labors ein.
„Wir wollen in der virtuellen Umgebung grundlegende Techniken der Laborarbeit vermitteln, damit die Studierenden gut vorbereitet an die echten Experimente herangehen können“, erläutert Fleischer. Gerätekunde wie etwa die Frage, wann man ein Becherglas und wann einen Erlenmeyer-Kolben verwendet, wird ebenso gelehrt wie der richtige Gebrauch eines Bunsenbrenners.
Selbst aktiv werden
Im VR-Labor lassen sich kleine Arbeitsaufgaben lösen: Man lernt, eine Flüssigkeit ohne Siedeverzug zu erhitzen oder ein Salz-Wasser-Sand-Gemisch in seine Bestandteile zu zerlegen. „Es gibt natürlich viele Videos, Animationen und Apps, die diese grundlegenden Dinge zeigen“, sagt Fleischer. Doch ihm sei es darum gegangen, den Studierenden die Möglichkeit zu geben, nicht nur zuzusehen, sondern selbst aktiv zu werden.
Ausgestattet mit VR-Brille und Controller füllen sie Flüssigkeiten um oder stellen Flammen des Bunsenbrenners größer oder kleiner. „Die Simulation kommt der Realität schon sehr nahe“, sagt Fleischer. „Eine der Herausforderungen ist die Übersetzung der Feinmotorik der Bewegungsabläufe im Labor auf den Controller“, erläutert Tatzgern. Im Chemielabor gehe es um sehr vielfältige Bewegungsabläufe, diese auf die eingeschränkten Möglichkeiten des Controllers zu übertragen, sei eine der Voraussetzungen des Projekts, erläutert der Informatiker.
In einem ersten Schritt will Fleischer die Simulation der Laborarbeit mit Chemielehrern ausprobieren. Nach dieser Pilotphase soll sie an der Uni in Lehrveranstaltungen eingesetzt werden. Viel Potenzial hat das VR-Labor auch für die Schule. „Gerade im Distance-Learning hat sich gezeigt, dass es keinen Ersatz für echte Experimente im Chemieunterricht gibt. Mit dem VR-Labor könnte diese Lücke etwas geschlossen werden.“
Oft fehle es an Schulen aber generell an Zeit und Materialien, um Experimente durchzuführen. Auch die Angst, etwas falsch zu machen, hindere insbesondere unerfahrene Lehrer an der Durchführung von Experimenten. Mit dem VR-Labor könne man in einer sicheren Umgebung üben. Und noch etwas gibt Fleischer den Studierenden mit auf den Weg: Rein statistisch sei Chemie nicht gefährlich, im Sportunterricht würden weit mehr Unfälle passieren.
(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 12.12.2020)
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Foto: Mit einer Datenbrille könnten angehende Chemielehrer künftig den sicheren Gebrauch von Bunsenbrenner und Co. erproben. vege – stock.adobe.com
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