Wissenschaftler um Philipp Kellmeyer von der Klinik für Neurochirurgie des Universitätsklinikums Freiburg und des Freiburg Institute of Advanced Studies (FRIAS), haben davor gewarnt, Möglichkeiten der virtuellen Realität (VR) leichtfertig in der Medizin einzusetzen.
„Grundsätzlich lassen sich mittels virtueller Realität positive Effekte erzielen“, sagt der Neurologe. Doch oft würden die besonderen Bedürfnisse der Patienten nur unzureichend berücksichtigt. „Wenn Demenzkranke beispielsweise nicht mehr zwischen Realität und Fiktion unterscheiden können, ist das ein gravierender Eingriff in ihre Autonomie“, sagte er.
In der Zeitschrift Nature weist die Arbeitsgruppe daraufhin, dass bislang noch kaum untersucht sei, wie VR kognitiv und emotional auf verschiedene Betroffenen wirke (doi 10.1038/s41591-019-0543-y). Die Wissenschaftler sehen drei zentrale Risiken bei der Anwendung von VR in der Medizin.
Die Überzeugungskraft der VR-Simulation kann für therapeutische Zwecke genutzt werden, die letztlich auf einer Täuschung oder Illusion beruhen. „Diese Instrumentalisierung schränkt die Autonomie der Patienten ein und ist auch im Hinblick auf die Menschenwürde mitunter problematisch“, argumentieren sie.
Die VR-Anwendung ziele zudem auf eine Verhaltensänderung des Nutzers ab, der sich dieser nicht entziehen könne. „Dadurch ist die autonome Entscheidungsfindung gefährdet“, so die Wissenschaftler. Der Nutzer baue darüber hinaus emotionale Bindungen zu virtuelle Figuren auf und nehme sie als vermeintliche reale Menschen an. „Dies könnte einen sozialen Rückzug aus der realen Welt zur Folge haben“, geben die Wissenschaftler zu bedenken.
„Technologische Lösungen sollten nur da eingesetzt werden, wo die Probleme nicht politisch oder sozial gelöst werden können“, forderte Kellmeyer. Wichtig sei außerdem, Patienten frühzeitig in die Entwicklung von therapeutischen Systemen einzubeziehen. „Wir sollten wegkommen von entwicklergetriebenen hin zu patientengetriebenen Innovationen“, so die Forderung der Arbeitsgruppe.
„Die Anwendung von VR-Systemen bietet faszinierende therapeutische Möglichkeiten, aber ihre Entwicklung und Nutzung sollte sich an ethischen Prioritäten orientieren, die die spezifische Anfälligkeit der Patienten berücksichtigen“, so das Fazit der Wissenschaftler.
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aerzteblatt.de
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