Die Corona-Pandemie mit ihren Reisebeschränkungen war eine radikale Zäsur für alle Dienstreisen. Aber in jeder Krise steckt auch eine Chance: Dank moderner VR-Software treffen sich jetzt die Avatare der Mitarbeiter zur Projektbesichtigung im virtuellen Raum. Das spart Zeit und Geld und offenbart so manchen Planungsfehler, der in 2D verborgen bliebe.
Wie funktioniert Virtual Reality im Maschinenbau? Eigentlich war es ein ganz gewöhnliches Projekt für den deutschen Maschinenbauer SMS Group: die Errichtung zweier Gasometer in Russland zur Wiederverwertung von Gasen aus der Stahlherstellung. Eine spannende Aufgabe, die aber auch für die routinierten Experten dieses Mal eine Besonderheit mitbrachte: Corona.
Warum überhaupt Virtual Reality im Maschinenbau?
Dienstreisen waren plötzlich ein Gesundheitsrisiko für die zuständigen Mitarbeiter. Persönliche Treffen auf der Baustelle, ein Muss bei einem Projekt dieser Größenordnung, wurden erschwert durch pandemiebedingte Einschränkungen. Regelmäßige Konferenzen und Meetings aller beteiligten Gewerke waren ebenfalls nur unter Auflagen möglich – und häufig verbunden mit einem unguten Gefühl für die Beteiligten. Doch der Maschinenbauer war vorbereitet und hatte ein echtes Ass im Ärmel: ein Konferenzsystem, das es erlaubt, dreidimensionale CAD-Daten in einen VR-Chat einzubeziehen, und so virtuelle Begehungen der Baustelle möglich macht.
Avatare treffen sich auf der virtuellen Baustelle
Die Software WeAre Rooms, vom Berliner Startup WeAre, ist ein Upgrade zu traditionellen Prozessen. Physische Nähe wird durch virtuelle ersetzt, wer an einem Meeting teilnimmt, wird durch seinen digitalen Avatar repräsentiert. Als Ort für das Meeting dient dabei nicht irgendein künstlicher Konferenzraum, sondern das virtuelle Modell des jeweiligen Projektes inklusive aller darin enthaltenen und drumherum benötigten Objekte. Schienen, Fahrzeuge, Kabelschächte, Rohrleitungen, alles, was in der Realität begutachtet werden müsste, ist auch in VR-Darstellung vorhanden. Damit lassen sich Gespräche führen, als wäre man zusammen vor Ort. Und anders als beim Gespräch mit gedrucktem und ausgebreitetem 2D-Plan lassen sich hier auch kleinste Details in Lebensgröße begutachten.
Die SMS Group schätzt, dass sich die Anzahl der Fehler dank der virtuellen Modelle bereits im Planungsstadium um 20 Prozent reduzieren lassen. Und konsequent weitergedacht über alle Entwicklungs- und Planungsprozesse gehen die Verantwortlichen von 70 Prozent weniger Zeitaufwand für Kommunikationsprozesse aus.
Dass solche Schätzungen realistisch sind, zeigt ein einfaches Beispiel aus der Praxis. Während einer der Begehungen in der virtuellen Realität entdeckten die Planer ein handfestes Problem: Ein Spannseil, das von einer Deckenkonstruktion nach unten verlief, durchschnitt auf seinem Weg eine eigentlich begehbare Plattform. In der Bauzeichnung war die Durchdringung nicht erkennbar, erst die dritte Dimension sorgte hier gerade noch rechtzeitig für die Fehlervermeidung. Die Einsparung betrug allein in diesem Fall rund 80.000 Euro und zwei bis drei Wochen Bauzeit.
Problemstellen unmittelbar erkennen dank Virtual Reality im Maschinenbau
Dazu kommen viele weitere visuelle Vorzüge dieser Methode, die damit ihre Berechtigung auch für die Nach-Pandemie-Zeit bewiesen hat. Das betrifft beispielsweise die Positionierung von Maschinen in den Werkshallen. In der Vergangenheit wurden Bauteile immer wieder so eingesetzt, dass Wartungsklappen und -schächte nur schwer oder mit viel Aufwand zugänglich waren. Schuld daran war in vielen Fällen die fehlende Orientierung im Raum. Auf dem Papier war nicht zu erkennen, wie viel Platz für die Techniker blieb, damit diese ihre Arbeit verrichten können. In der virtuellen Welt lassen sich solche Problemstellen unmittelbar und direkt in Augenschein nehmen.
Doch auch außerhalb der puren Konstruktionsbesprechung können Tools wie WeAre Rooms punkten. Denn virtuelle Meetings dieser Art sind ein Garant dafür, dass wirklich nur die teilnehmen müssen, die tatsächlich benötigt werden. Statt vorsichtshalber das gesamte Team zusammenzutrommeln, um dann jedes Detail der Projektplanung durchzugehen, selbst wenn diese für Teile der Mannschaft irrelevant sind, lassen sich die digitalen Treffen trennen und so auf spezielle Teilnehmerkreise maßschneidern. Das spart Zeit und Geld wert. Zudem sind alle Projektbeteiligten im VR-Meeting zu 100 Prozent konzentriert und werden nicht durch äußere Einflüsse wie Nachrichten auf dem Smartphone, eingehende Emails oder schwatzende Kollegen abgelenkt. Die VR-Brille dient hier fast schon als Scheuklappe.
Weniger Zeit verschwenden auf Bahnhöfen und Flugplätzen
Die Meetings ohne Reisezwang erweisen sich als Glücksgriff für die Firmenkultur. Viele Mitarbeiter sind gar nicht böse, wenn sie nicht länger mit Bahn und Flugzeug quer durch die Welt zu reisen müssen. Vielmehr genießen sie es, nah bei ihren Familien bleiben zu können und weniger Zeit auf unbequemen Flugplätzen oder in kleinen Hotelzimmern verbringen zu müssen.
Der dabei entstehende Datenmehraufwand ist leicht zu verschmerzen. Bereits Anfang 2020 stieg der Datenverbrauch in deutschen Unternehmen um 20 – 40 Prozent an, denn mit der Angst vor Corona und den damit verbundenen Einschränkungen griff man auf Videokonferenzen zurück. Allerdings sank die Menge der Dienstreisen so gewaltig, dass unterm Strich ein sattes Plus blieb. Der Transport von Daten ist nun mal immer noch günstiger als der von Menschen.
Quasi als Nebeneffekt verbesserten sich auch die Ökobilanzen der Unternehmen. Weniger Flüge, mehr Homeoffice – eine Win-Win-Situation für Firmen, Mitarbeiter und Umwelt. Und ein weiterer Grund, auch nach der Aufhebung aller Schutzmaßnahmen nicht mehr von diesem Vorgehen abzurücken.

Maschinen statt Entertainment
Damit rückt Virtual Reality im Maschinenbau in die Riege moderner Schlüsseltechnologien auf. Und das an Stellen, die man eigentlich gar nicht im Fokus hatte. Berufsfelder wie Medizin oder Wartungstechnik profitieren von den Datenbrillen bislang deutlich stärker als die Entertainment-Industrie, die eigentlich als Motor für Mixed und Virtual Reality gehandelt wurde. Statt fantastische Welten in dreidimensionaler Pracht darzustellen, nutzen Außendienstmitarbeiter die digitale Erweiterung der Realität, um möglichst rasch Fehler in Anlagen zu finden. Erfahrene Kollegen, die auf Grund ihres Alters oder wegen körperlicher Einschränkungen nicht mehr das Büro verlassen können, stellen ihre Kenntnisse und Erfahrungen über die Datenbrille zur Verfügung. Sie markieren potenzielle Fehler direkt im Sichtfeld des Technikers oder geben gleich schrittweise Anleitungen für die Reparatur.
Wer heutzutage die Hilfe eines medizinischen Experten braucht, muss dafür nicht mehr um die halbe Welt reisen. Vielmehr können beispielsweise Chirurgen mittels einer Datenbrille Roboterarme in einem OP am anderen Ende der Welt präzise steuern und so Leben retten, ohne live vor Ort zu sein. In den nächsten Jahren werden sich weitere Einsatzmöglichkeiten für erweiterte oder virtuelle Realitäten herauskristallisieren. Die Jahre 2020 und 2021 haben aber jetzt bereits gezeigt, dass deren Einsatz mehr als nur lukrativ ist.
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Foto: WeAre