Investor Peter Schnückel zeigt auf 1300 Quadratmetern zwei Ausstellungen, die Kunst für jedermann zugänglich machen sollen. Die Begegnung mit den Originalen im Kunstmuseum ersetzen sie jedoch nicht.
Fünf Meter hoch sind van Goghs Sonnenblumen. Auch der Boden im Kornhaus Romanshorn ist blumenübersät. Die Blumen bewegen sich in einem langsamen Rhythmus zum Titelstück aus dem Holocaustfilm «Schindlers Liste». Es ist Überwältigung pur, was Augen und Ohren im House of Digital Art in Romanshorn geboten wird, es wurde am 4. Dezember 2020 eröffnet. Im Erdgeschoss, das früher als SBB-Lagerhalle genutzt wurde, befinden sich neu 1300 Quadratmeter umfassende Ausstellungsräume.
Zu sehen sind zwei Ausstellungen: In «Von Monet bis Kandinsky – Revolutionäre der Kunst» werden zehn Künstler der Moderne vorgestellt, Frauen sucht man vergeblich. «Colours X Colours» heisst die zweite Schau und stammt von den französischen Künstlern Thomas Blanchard und Oilhack. Sie zeigen Makroaufnahmen von ineinander fliessenden Farben und Blumenmotive.
Im Frühling folgt eine Virtual-Reality-Show
Das House of Digital ist das erste seiner Art in der Schweiz, Dependancen gibt es in Bangkok und Dubai. Peter Schnückel, der Investor, der hinter der Umnutzung des Kornhauses steht, hat die Lizenz dazu von der russischen Firma Vision Multimedia Projects erworben. Das House of Digital Art ist jedoch nicht die erste Institution in der Schweiz, welche Kunst als Multimediashow präsentiert. Noch bis Ende Jahr ist zum Beispiel in der Zürcher Maag-Halle «Van Gogh Alive» zu sehen. Neu ist aber, dass diese Art von Spektakel, die HD-Projektionen mit animierten Grafiken und Musik kombiniert, ein festes Haus bekommt.
Schnückel plant weitere Ausstellungen: eine Virtual-Reality-Schau und eine interaktive Eltern-Kind-Ausstellung sollen im Frühling folgen, ausserdem eine ganz altmodische Präsentation, welche den Bauprozess im Kornhaus dokumentiert. Aus dem House of Digital Art soll «die Destination für digitale Kunst in der Schweiz» werden. In Basel gibt es jedoch schon seit 2011 das Haus der elektronischen Künste. Dort setzt man nicht auf Showeffekte, sondern zeigt zeitgenössische digitale Kunst. Wunderbare Videokunst zum Eintauchen findet man zurzeit auch im nahen Kunstmuseum St. Gallen, zum Beispiel eine frühe Arbeit der St. Galler Videopionierin Silvie Defraoui.
Was in Romanshorn gezeigt wird, ist gepflegte Unterhaltung, etwa wenn sich die Äpfel eines Cézanne-Stilllebens selbstständig machen oder Klee-Fische über Boden und Wände schwimmen. Das ist herzig und wird Kinder entzücken, doch kann es die Begegnung mit den Originalen in den Museen ersetzen? Unmöglich. Denn wer das Glück kennt, von einem echten Kunstwerk im Innersten bewegt zu werden und schon einmal die Energie gespürt hat, die von einem Original ausgeht, für den bleibt diese Art von Kunsterlebnis an der Oberfläche. Es hat auch etwas Ermüdendes, ständig von visuellen Reizen und Musik umwabert zu werden. Eine ganze Stunde dauert die Show zu den Künstlern der Moderne. Das ist ohne Pausen kaum auszuhalten. Gute Kunst jedoch regt an und belebt.
Emotionen wecken
Peter Schnückel will mit seinem House of Digital Art Kunst für jedermann zugänglich machen: «Es geht um Emotionen, nicht darum, sich viele Gedanken zu machen.» In einem Vorraum werden zwar Informationen zu den einzelnen Künstlern an die Wände projiziert, ein Saalblatt zu den gezeigten Werken sucht man jedoch vergeblich. «Wir haben keinen elitären Anspruch. Wir wollen Lust machen auf Kunst», sagt Schnückel. Ob das klappt, ist schwer zu sagen. Wird eine Besucherin, die im Kornhaus von den Werken Monets beeindruckt war, im Kunstmuseum St. Gallen seinen «Palazzo Contarini» im Original bewundern wollen? Es ist zu hoffen. Sein Publikum wird das House of Digital Art so oder so finden.
House of Digital Art, Friedrichshafnerstrasse 54, Romanshorn. So-Mi, 10–20 Uhr, Do–Sa, 10-21 Uhr.
Quelle:
Sehr «instagrammable»: Im Romanshorner House of Digital Art wird man von van Goghs Sonnenblumen umwabert.
Bilder: Reto Martin