Bessere Planung durch virtuelle Kommissionierung
Virtual Reality macht die Planung von Arbeitsplätzen anschaulicher und steigert dadurch Ergonomie und Akzeptanz. Doch wie ist die Erstellung eines virtuellen Arbeitsplatzes möglich und welche technischen Abläufe sind dafür erforderlich? Hier ein Einblick.
Eine ganzheitliche Lagerplanung gehört zu den wesentlichen Voraussetzungen für die spätere Effizienz eines Logistikstandortes. Die Arbeitsplätze von Kommissionierern und Verpackern scheinen dabei nur eines von vielen Details zu sein – Fakt ist jedoch, dass die optimale Planung dieser Schnittstelle zwischen Mensch und Technik eine wichtige Komponente im Materialfluss darstellt. Sobald Fördertechnik, Lagersysteme und Kommissionierung geplant sind, ist die Konzeption der Arbeitsplätze sinnvoll. Damit ist die detaillierte Planung der Arbeitsplätze ein integraler Teil der Planungsphase und findet im Optimalfall noch vor der Auftragsvergabe statt. Die Ausgestaltung hängt vom Kommissionier- bzw. Packprozess und von der Art der gelagerten Artikel ab. Bewegt der Mitarbeiter beispielsweise schwere Lasten, erleichtern Lasthandhabungsgeräte die Arbeit. Wird eine solche maschinelle Unterstützung nicht im Planungsprozess berücksichtigt, können beim späteren Umbau der Arbeitsplätze Restriktionen auftreten.
Unterschiedliche Anforderungen bei der Planung von Arbeitsplätzen ergeben sich zudem aus der Art der Kommissionierung, je nachdem, ob die Waren den Mitarbeitern aktiv angedient werden (Ware-zur-Person-Prinzip) oder ob sie in Regalfächern bereitgestellt werden (Person-zur-Ware-Prinzip).
Virtuell versus physisch
Die Praxis sieht derzeit meist anders aus: Die Detailplanung der Arbeitsplätze erfolgt relativ spät im Planungsprozess oder sogar erst während der Realisierungsphase – und das nicht in virtueller Form, sondern physisch. Tische, Regale und Behälter simulieren den Probearbeitsplatz und werden im Lager aufgebaut und dort praktisch erprobt. Förder- und Lagertechnik stehen zu diesem Zeitpunkt bereits fest. Die Problematik: Durch die bereits festgelegte Größe, die die Arbeitsplätze im schon geplanten Lager einnehmen können, sind nur noch kleinere Änderungen möglich. „Arbeitsplätze scheinen auf den ersten Blick nur eine kleine Komponente im komplexen Materialfluss zu sein“, so Michael Huhn, Vertriebsleiter und Prokurist der Unitechnik Systems GmbH. „Letztendlich ist es aber so, dass sie früh geplant einen hohen Mehrwert bringen, speziell im Hinblick auf die ergonomischen Bedürfnisse des späteren Nutzers. Sind Quell- und Zielbehälter ungünstig angeordnet, belastet das den Bediener tagtäglich. Die Folge sind eine schnellere Ermüdung und körperliche Beschwerden. Nachträglich hinzugefügte Hilfsmittel sind oft ein schlechter Kompromiss.“
Anspruchsgruppen aktiv in die Planung einbeziehen
Weitere Vorteile, die die digitale Planung und die Vorabansicht der Arbeitsplätze via VR bieten, liegen auf der Hand: Geschäftsführung und operative Mitarbeiter können einfach und intuitiv in den Prozess integriert werden. Anschaulich vermittelt das Modell das spätere Aussehen der Arbeitsplätze und ermöglicht, diese realitätsnah und greifbar zu testen. Über diese interaktive Komponente in der Planung lässt sich der Kunde aktiv einbeziehen. Das minimiert zudem das Risiko von Fehlentscheidungen. So lassen sich im Prozess beispielsweise verschiedene Planungsvarianten diskutieren. Dabei erhält der Kunde jederzeit eine gute Vorstellung von dem geplanten Aufbau. Über die Live-Tests der Arbeitsplätze lässt sich zudem die Ergonomie optimieren. Zusammen mit den operativen Mitarbeitern kann geprüft werden, ob Greifhöhen passend geplant sind oder Abstände noch optimiert werden sollten. Dazu kommt, dass die einbezogenen Mitarbeiter die Scheu vor dem neuen System verlieren, da sie die Einführung aktiv begleiten. „Insgesamt ist der Planungs- und Vorbereitungszeitraum für die Erstellung von virtuellen Arbeitsplätzen vergleichbar mit dem Aufbau eines physischen Arbeitsplatzes. Jedoch lässt sich nur die virtuelle Variante in der frühen Planungsphase in den Kontext der gesamten Logistikanlage einbetten“, so Huhn weiter. „Ob wir ein VR-Modell anfertigen, hängt dabei meist von der Projektgröße und der Anzahl der Arbeitsplätze ab.“ Doch wie entstehen die VR-Modelle?
1. Schritt zum VR-Modell: Planung und CAD-Zeichnung
Basis für das spätere VR-Modell eines Arbeitsplatzes ist zunächst die Zeichnung des Lagerlayouts im 3D-CAD-System. Dabei handelt es sich um eine 3D-Ansicht des späteren Logistikzentrums. Der modellhafte Eindruck ermöglicht gute Einblicke in die exakten Strukturen, es ist jedoch keine Interaktivität gegeben. „Der Nutzer schaut sich das künftige Lager auf dem Bildschirm an. Es gibt die Möglichkeit, verschiedene Perspektiven einzunehmen“, erläutert Huhn. „Was nicht möglich ist, ist, mit einer Brille virtuell im Lager zu stehen und sich die Größenverhältnisse vor Augen zu führen – das kommt später.“ Im Fokus stehen in diesem Planungsschritt mehr die Auswahl der Komponenten und die genaue Planung, welche Komponente wo platziert wird, wie Höhen überwunden werden und welche Produkte genutzt werden. „Das heißt, unsere Planer konstruieren den Materialfluss – passt dabei das System von einem Hersteller nicht ins Konzept, dann wird ein anderes genutzt“, so Huhn. Zunächst lässt der Planer dafür die exakten Maße des Gebäudelayouts ins CAD-System einfließen. „Es dürfen später keine Pfeiler im Weg sein, wo wir Fördertechnik einplanen“, erklärt Huhn weiter. Anschließend werden die einzelnen Bausteine wie Fördertechnik, Hochregale, Regalbediengeräte, Arbeitsplätze und sogar Kommissioniermitarbeiter zu einem vollständigen Layout zusammengefügt. Der Konstrukteur wählt die Einzelkomponenten aus einer Bibliothek aus und stellt das Lager nach den Anforderungen des Kunden zusammen. Dabei gilt: Je weiter der Prozess ausgereift ist, desto detaillierter wird die Planung. Immer wieder werden Layouts mit dem Kunden besprochen und Anpassungen vorgenommen. Ist die 3D-Zeichnung im CAD-System ausgereift, geht es in die Feinplanung. Innerhalb der Feinplanung kommen dann auch die VR-Modelle zum Tragen. Um eine CAD-Zeichnung ins VR-Modell umzuwandeln, ist jedoch ein Zwischenschritt erforderlich.
2. Schritt zum VR-Modell: Bearbeitung in einer Animationssoftware
Die Zeichnung wird in ein Animationsprogramm übertragen. „In der Regel werden solche Programme dafür genutzt, animierte Filme zu erstellen. Ich denke dabei zum Beispiel an Avatar“, erläutert Huhn. „Es handelt sich um hochkomplexe Software, die künstliche Bewegungen erzeugen kann.“ Von diesen Möglichkeiten wird aber nur ein kleiner Teil genutzt. Im Grunde dient der Zwischenschritt dazu, die Komplexität der CAD-Zeichnung zu reduzieren und so das Projekt für die Übertragung in eine Game Engine vorzubereiten. Die 3D-CAD-Zeichnung besteht aus einer sehr hohen Anzahl von winzig kleinen Flächen, sogenannten Polygonen. Bewegt sich der Benutzer mit seiner VR-Brille durch das Lager, ändert sich die Betrachtungsperspektive ständig. Die Folge: Lage und Ausrichtung dieser Polygone müssen in Echtzeit ständig neu berechnet werden. Bei einem komplexen Logistikzentrum wäre die benötigte Rechenleistung kaum realisierbar. Daher werden in der Animationssoftware viele kleine zu größeren Flächen zusammengefasst. Damit das Ergebnis ansprechender aussieht, lassen sich Oberflächen mit Texturen belegen. Dadurch wirkt z.B. ein gelb lackiertes Geländer sehr realitätsnah. Das bearbeitete Projekt wird zum Abschluss in einem Dateiformat abgespeichert, dass in die Game Engine eingelesen werden kann.
3. Schritt zum VR-Modell: Jetzt wird es interaktiv – die Game Engine
Im letzten Schritt erfolgt die Übertragung der bearbeiteten CAD-Zeichnung in eine Game Engine. Dabei handelt es sich um eine Software, mit der es möglich ist, Interaktionen zu programmieren. Ähnliche Technik wird bei der Erstellung von Computerspielen eingesetzt. Mit der Übertragung in die Game Engine ist jedoch nicht alles abgeschlossen: „Wer spielen will, braucht Regeln. Zuerst legen unsere Planer die notwendigen Parameter fest“, macht Huhn deutlich. „Dazu gehören beispielsweise das Gewicht von Objekten und ihre Reaktion auf Bewegungen in der Umgebung. Diese Eigenschaften müssen zunächst definiert werden.“ Das bedeutet, dass Fördertechnik nicht einfach durchschritten werden kann und dass andere Objekte nicht durch eine Tischplatte fallen können. Ebenso gehören Höhen und Begrenzungen zu den Parametern, die zunächst definiert werden.
Im Anschluss erfolgt dann die Animation verschiedener Elemente, so kann eine Palette beispielsweise auf dem Förderband vor und zurück fahren. Danach werden zudem Interaktionen möglich, wie die manuelle Platzierung eines Quaders in einem Behälter. Bewegungen, die der Nutzer in der virtuellen Umgebung anstößt, sind in der VR-Brille und auf dem Bildschirm sichtbar. Mittels Controller greift der VR-Nutzer Behälter und Ware und kann diese bewegen. Beweglich geschaltet werden dabei nur Elemente, die für den Test des Arbeitsplatzes erforderlich sind. So kann der Nutzer ein Produkt in den Behälter legen, aber nicht den Tisch hochheben und verschieben. Das VR-Modell ist sogar in der Lage, Gewicht und Materialeigenschaften von Objekten widerzuspiegeln. Besonders schwere Waren verhalten sich beim Ablegen oder Werfen anders als leichte. Spürbar ist das zwar nicht für den Anwender, aber die Reaktion innerhalb der Plattform unterscheidet sich deutlich.
Zukunftschancen mit Virtual Reality
Für neue Mitarbeiter bietet die auf dieser Basis weiterentwickelte Darstellung des Lagers künftig eine gelungene Trainingsplattform. Die Lagermitarbeiter führen ihre Tätigkeit zunächst probeweise in der virtuellen Umgebung aus und gehen erst dann ins Lager, wenn die Kommissionierung im „Simulator“ fehlerfrei abläuft. Die Ausweitung des interaktiven VR-Modells auf komplette Fabriken oder Logistikzentren inklusive Gebäude und Haustechnik ist derzeit noch Zukunftsmusik, da das sehr große Rechenkapazitäten erfordert und sehr aufwändig zu realisieren wäre. In der Regel werden nur kleinere Teilbereiche des späteren Lagers interaktiv gestaltet. Auch eine Echtzeitvisualisierung der tatsächlichen Abläufe im Lager nach dem Vorbild des digitalen Zwillings ist eine denkbare Weiterentwicklung des VR-Modells. In dieser Zukunftsvision könnte dann der Werkleiter aus dem Homeoffice bei einem virtuellen Rundgang durch seine Anlage nach dem Rechten sehen und der Instandhalter aus der Ferne eine Störung analysieren. (ck)
Quelle:
https://www.technische-logistik.net/so-entsteht-ein-arbeitsplatz-mit-virtual-reality-0