Kein Zweifel. Caspar David Friedrich (1774–1840), Star der deutschen Romantik, wäre begeistert. Das, was er und seine Malgefährten damals, vor mehr als 200 Jahren, eigentlich den Bildbetrachtern sagen wollten, nämlich, dass romantische Sehnsüchte sich nicht erfüllen werden, ist in dieser aufwendigen Installation auf den Punkt gebracht. Und die Desillusion zudem ein grandioses Erlebnis.
Caspar David Friedrich „Mönch am Meer“ mit Virtual-Reality-Brille betrachten
In einem der hinteren Säle der Alten Nationalgalerie ist ein blaues Rondell aufgebaut, in der sich das Virtual-Reality-Projekt erleben lässt. Es dauert eine Weile, bis ich mich mit der Hightech-Montur auf der Nase zurechtfinde. Von der Decke baumeln vier Headsets, jeweils über einer großen blauen Fußmatte. Die ist mein Aktionsradius, so werde ich den drei anderen Besuchern nicht ins Gehege kommen.
Die massige Brille sitzt richtig, es geht los. Ganz langsam öffnet sich auf dem Bildschirm ein Fenster zu einer ganz anderen Bildwelt – der des Frühromantikers Friedrichs „Mönch am Meer“ von 1808/10, Kultbild in der Alten Nationalgalerie Berlin, seinerzeit angekauft von König Wilhelm III. und in der abendländischen Kunstgeschichte als Inbegriff eines modernen Bildes und Altarbild des modernen Menschen geltend. Eine euphorische Besprechung Heinrich von Kleists brachte Caspar David Friedrich damals großen Ruhm. In seiner „Einförmigkeit und Uferlosigkeit“, so Kleist, wirke das Bild, „als ob einem die Augenlider weggeschnitten wären“. Derartige Radikalität ist in der Bildwelt der Romantik einmalig.
Blick schweifen lassen dank Virtual Reality
Nun also kommen mir dank der digitalen Technik Friedrichs Landschaft, Mönch und Möwen plötzlich ganz nahe, körperlich real und dennoch unwirklich vor. Plötzlich habe ich das Gefühl, direkt im Sand am Strand zu stehen: Rügen. Ich würde am liebsten die Schuhe ausziehen und loslaufen, die Meeresbrise auf der Haut spüren. Möwen kreisen über mir, um mich herum rauscht das Meer. Und Richtung Horizont kreuzen drei Segelschiffe. Die Takelagen sind deutlich zu erkennen, fast ist es so, als bewege sich das erste auf den Strand zu.
Diese Schiffe sind auf dem echten Friedrich-Gemälde nicht zu sehen. Sie waren eine Überraschung bei der Restauration des Bildes. Diese Entdeckung offenbart, dass der Maler ein altes Motiv übermalt hatte, ohne es richtig zu tilgen. Es heißt, er musste damals sparen, Leinwände waren teuer, und so nahm er einen verworfenen Entwurf für sein neues Motiv.
Meine Augen reisen mit Hilfe der VR-Technik über das kahle weißliche Dünenufer, das nach links im stumpfen Winkel ansteigend in das vom Wind bewegte düstere Meer hineinragt. Die dunkle Wasseroberfläche steigt über der Horizontlinie wie Nebel auf. Die Tageszeit ist unbestimmt, der Himmel lichtet sich in tiefes Blau.
Virtual-Reality-Projekt ist neuer Schritt für die Alte Nationalgalerie
Auf dem Originalgemälde, zwei Museumsetagen über diesem Projektraum zu sehen, fehlt dem Strand, dem Meer, dem Himmel und der wie mit dem Lineal gezogenen Horizontlinie jegliche perspektivische Tiefe. Im echten Motiv steht am Scheitelpunkt des Ufers ein wie gottverlassener Mann in brauner Mönchskutte, schaut sinnend aufs Meer hinaus. Nun aber in dieser virtuellen Welt ragt der Mönch – möglicherweise vom Orden der Kapuziner? – direkt vor mir heraus, groß, hager, barfuß. Ich sehe deutlich die Tonsur und seine blasse Haut. Und die erstaunlich kleinen Füße. Mit ihm befinde ich mich unmittelbar in den Naturgewalten zwischen Strand, Meer, Himmel. Und im Farb-Dunst, mitten in den verschiedenen Aggregatzuständen der Materie der übermächtigen Natur. Ich könnte ja versuchen, den Mönch zu berühren. Aber das misslingt. So weit ist die Technik dann doch nicht.
Aber ich kann mit meinen von Sensoren erfassten Körperbewegungen, mit jeder Verrenkung in das Bild „hineinmalen“, es sogar dunkler machen mit Schwüngen, die eine breite Spur hinterlassen auf dem Sand, im Himmel, überm Meer.
Das Projekt ist eine internationale Gemeinschaftsarbeit, an dem auch der Fernsehsender Arte, das Fraunhofer Institut, die Gebrüder-Beetz-Filmproduktion und das Berliner Studio Highroad beteiligt waren. Das Museum bezeichnet die Arbeit als nächsten Schritt der Alten Nationalgalerie hin zu neuen digitalen Vermittlungs- und Ausstellungsangeboten.
Das VR-Projekt ist in der Alten Nationalgalerie ab 5. April bis zum 30. Juni zugänglich. Die Macher bitten die Interessierten, beim Besucherdienst rechtzeitig einen Termin zu vereinbaren. Mail-Adresse: service@smb.museum, Telefon: 030/266 424 242
Quelle:
Mit der Virtual-Reality-Brille wird „Der Mönch am Meer“ zu einem erlebbaren Kunstwerk.
Foto: Gebrüder Beetz/Filmproduktion