Mithilfe virtueller Übungsräume können Mitarbeiter Prozesse ohne Angst vor Fehlern trainieren
In der Spule, unter dem Tisch, auf dem Regal – überall könnten Rückstände sein, die den Reinraum verunreinigen. Fläschchen, Papierstücke und Schmutz müssen ausnahmslos entfernt werden. Wo Medikamente abgefüllt werden, ist alles steril. Schon die kleinste Verunreinigung reicht dafür aus, dass ganze Ladungen von Pharmaka weggeworfen werden müssen. Sebastian Scheler sucht nach solchen Gegenständen, die im Reinraum nichts verloren haben. Er darf keinen Fehler machen. Dabei trägt der studierte Psychologe weder Overall noch Handschuhe, sondern Straßengewand – im Reinraum eigentlich strengstens verboten.
Scheler nimmt seine Virtual-Reality-Brille ab – und ist in einer anderen Welt. Der detailgenau nachempfundene Reinraum seines Kunden aus der Pharmabranche weicht einem kleinen Büro in Wattens. Als CEO von Innerspace entwickelt Scheler dort seit wenig mehr als zwei Jahren virtuelle Verhaltenstrainings.
Nichts darf schiefgehen
Das Konzept ist einfach: Im Reinraum darf nichts schiefgehen. Richtiges Verhalten lernt man am besten durch Erfahrung – und nicht, indem man es erklärt bekommt. „In Virtual Reality kann man Erfahrungen machen, ohne dass Fehler fatale Folgen haben“, erklärt der Start-up-Gründer Scheler: „Wichtig ist, dass sich echt anfühlt.“
Die Simulation von Trainingssituationen ist aufwendig. Die virtuelle Nachbildung des Raums erledigt ein Partnerunternehmen. Innerspace programmiert die Interaktivität: Türen, die sich öffnen; Schränke, die verschoben werden können; Gegenstände, die im Reinraum nichts verloren haben.
Bevor es ans Programmieren geht, trifft sich Scheler mit seinen Kunden, um herauszufinden, welche Szenarien für die virtuelle Brille geeignet und für den Kunden wichtig sind. „Wir sind in erster Linie ein Trainingsanbieter“, sagt Scheler, der neben einem Psychologiestudium auch eine Coaching-Ausbildung absolviert hat.
Know-how aus der Informatik
Ganz ohne Informatik kommt das virtuelle Arbeitstraining nicht aus. Das hat auch Scheler gemerkt. „Wir sind bei einem Start-up-Event nebeneinandergesessen, und er hat mir erzählt, dass er eine vielversprechende Geschäftsidee habe“, erzählt Bernhard Fercher, CTO und Mitgründer von Innerspace: „Aber die Idee wollte er nicht verraten.“ Der Programmierer musste insistieren, bis Scheler ihn und den Softwareentwickler an Bord geholt hat.
Mit der Pharmabranche hatte zunächst keiner der Gründer zu tun. Medikamentenhersteller wurden eher zufällig zur primären Kundengruppe des jungen Unternehmens. „Die Pharmabranche ist sehr stark reguliert, da darf bei vielen Prozessen nichts schiefgehen“, erklärt Scheler, warum Medikamentenhersteller für Innerspace besonders attraktiv sind. Der Gründer kann sich aber vorstellen, auch für andere Branchen virtuelle Trainings zu entwickeln.
Messbare Performancedaten
Auch deshalb, weil virtuelles Training messbare Performancedaten schafft. Der Computer weiß, wie viele unerlaubte Gegenstände im virtuellen Reinraum herumliegen. Er weiß, welche gefunden wurden, in welcher Zeit und auf welchen Wegen sie gefunden wurden. Die Daten können nach dem Training ausgedruckt werden. Niemand muss dem Mitarbeiter beim Üben zuschauen.
Zuerst denkt Scheler aber an die nähere Zukunft. „Wir wollen bis 2019 deutlich größer werden“, sagt er: „Sowohl was Mitarbeiter betrifft, als auch bei den Umsatzzahlen.“ Für 2018 hatte sich Scheler vorgenommen, mindestens ein großes Projekt an Land zu ziehen. Das Ziel war bereits in der ersten Jahreshälfte erreicht.
Quelle:
https://www.derstandard.de/story/2000082086406/mitarbeiter-sollen-arbeitsschritte-durch-virtual-reality-perfektionieren