Wie kann das Metaverse auf der Basis digitaler Zwillinge die Infrastrukturplanung noch besser machen? Lori Hufford, Vice President Application Integration bei Bentley Systems, im Gespräch.
Digitale Zwillinge ermöglichen schon jetzt die Zusammenarbeit über den gesamten Lebenszyklus von Infrastrukturprojekten, um Entwürfe realitätsnah zu visualisieren, zu analysieren und zu simulieren. Aber wo kommt dann das Metaverse ins Spiel, inwiefern ist es schon Realität, und wie kann es auf dieser Grundlage die Planung der Infrastrukturprojekte noch besser machen? Das erklärt Lori Hufford, Vice President Application Integration bei Bentley Systems, im Gespräch mit dem Virtual Reality Magazin.
Hürden in der Infrastrukturplanung
Wo sehen Sie derzeit die größten Herausforderungen und Infrastrukturprojekte?
Lori Hufford: Entwurf, Bau und Betrieb der weltweiten Infrastruktur werden durch personelle Probleme immer komplexer. Aktuelle Studien zeigen, dass viele Ingenieurbüros sehr besorgt über den Wettbewerb um Fachkräfte sind. Einige lehnen sogar Aufträge ab, weil sie nicht über die nötigen Talente verfügen, um die Arbeit zu erledigen. Hinzu kommen die steigenden Kundenansprüche, die eine schnellere Bereitstellung, eine nachhaltigere Infrastruktur und eine Aufteilung der Risiken zwischen Ingenieurbüros und Eigentümern oder Betreibern erfordern. Die Bewältigung dieser Komplexität macht also eine ganzheitlichere Sicht auf die Infrastrukturdaten notwendig.
Die Mobilität der Daten über den gesamten Lebenszyklus der Infrastruktur muss genauso gewährleistet sein wie die Möglichkeit, im gesamten Entwurfsprozess zu visualisieren, zu analysieren und zu simulieren. Es gilt dabei, die Daten aus den Silos zu befreien. Dafür müssen wir die digitalen Zwillinge der Infrastruktur synchronisieren.
Für viele Anwender ist das Konzept des Metaverse noch ein unbeschriebenes Blatt. Wie würden Sie das Metaverse definieren?
Hufford: Wir glauben nicht, dass das Metaverse für die Infrastruktur schon Realität ist. Seine Grundzüge können wir aber erkennen. Es muss immersiv sein, die Interaktion mit 3D-Geodaten muss also in Echtzeit stattfinden. Es muss technisch einwandfrei funktionieren, ohne Verlust der Datentreue und mit millimetergenauer Präzision. Es muss immer verfügbar sein: Die Daten bleiben erhalten, Änderungen lassen sich nachverfolgen. Interoperabilität ist ein weiteres Merkmal, denn die Inhalte beschränken sich nicht auf eine einzige Plattform. Das Metaverse sollte also offen, interoperabel und letztlich kollaborativ sein und somit die Interaktion vieler Anwender ermöglichen.
Die Grundlage für das Metaverse ist ein digitaler Zwilling der Infrastruktur, eine digitale Darstellung der physischen Welt, die kontinuierlich mit Informationen aus dieser Welt aktualisiert wird. Und der enthält idealerweise
umfassende Engineering- und BIM-Daten und bietet die Möglichkeit, Veränderungen in der realen Welt zu verfolgen und zu visualisieren.

Digitale Zwillinge für den gesamten Baulebenszyklus
Können Sie uns dafür bitte ein Beispiel für die Anwendung des Metaverse in der Infrastruktur nennen?
Hufford: Es gibt einige spannende Anwendungsfälle. Der erste ist die Wasseraufbereitungsanlage, die in Singapur von der Singapore National Water Agency gebaut wird. Es handelt sich um ein einzigartiges, multidisziplinäres Megaprojekt für die Aufbereitung von Industrie- und Haushaltsabwasser. Ein Projekt dieses Umfangs und dieser Komplexität birgt viele Herausforderungen, was die Koordinierung und Kommunikation zwischen 17 verschiedenen Auftragnehmern für Entwürfe mit 3’500 separaten BIM-Modellen betrifft. Durch den Einsatz von Technologien wie Bentley iTwin zum Erzeugen föderierter Modelle für Kommunikationszwecke und die Nutzung von Technologien wie LumenRT for Nvidia Omniverse für die Visualisierung können die Projektbeteiligten Sicherheit und Qualität gewährleisten sowie Entwurfsänderungen überprüfen.
Ein weiteres Beispiel: Unternehmen wie das Ingenieurbüro WSP können aus geschäftlicher Sicht Projekte gewinnen und ihr Engagement für die Interessengruppen bei wichtigen Infrastrukturprojekten ausbauen. Dafür steht das Multimilliarden-Dollar-Projekt Bridge Replacement an der Autobahn Interstate 5 zwischen Oregon und Washington in den Vereinigten Staaten.
Die Anwendung eines digitalen Zwillings über den gesamten Lebenszyklus des Programms ermöglicht es hier, die Öffentlichkeit vom Entwurf über die Detaillierung bis hin zum Bau besser einzubeziehen. Beim Betrieb schließlich kann er als Tool für die Anlagenverwaltung dienen.
Wo liegen derzeit die größten Herausforderungen für die Durchführung solcher Metaverse-Projekte?
Hufford: Bei jeder Technologie ist die Akzeptanz entscheidend, und ich glaube fest an die Kombination von Menschen und Technologie: für die Ermöglichung von Infrastruktur und für digitale Zwillinge – ob beim Entwurf, Bau oder Betrieb.
Diese digitalen Zwillinge der Infrastruktur sollten nicht nur 3D-Grafiken mit millimetergenauer Präzision enthalten, sondern auch reichhaltige, strukturierte BIM-Daten und den realen, durch Drohnen gewonnenen Kontext für die Photogrammetrie. Zudem sollten sie sich in Echtzeit mit Erkenntnissen aus der realen Welt anreichern lassen. So muss es zum Beispiel möglich sein, IoT-Sensordaten zu verfolgen und Veränderungen zu visualisieren. Mit ProjectWise powered by iTwin können Anwender ihre bestehenden dateibasierten Workflows nutzen, einschließlich derer, die durch Standards wie der Norm ISO 19650 vorgegeben sind. So können sie einfach digitale Zwillinge der Infrastruktur erstellen, die diese Anforderungen erfüllen. Die größte Herausforderung ist das Änderungsmanagement, und der beste Weg dazu liegt in der Nutzung bestehender Workflows und deren Ergänzung durch datenzentrierte Arbeitsabläufe.
Was die Infrastrukturplanung von anderen Branchen lernen kann
Wie kann Ihrer Meinung nach die Infrastrukturbranche bei der Umsetzung von den Erfahrungen anderer Branchen profitieren?
Hufford: Man denkt hier oft an die Spiele- und Unterhaltungsindustrie. Die Technologie des Metaverse bringt jedoch einzigartige Herausforderungen mit sich, die bei Spielen und Unterhaltungsanwendungen nicht auftreten, zum Beispiel lange Lebenszyklen, große Dimensionen und einfach die strategische Bedeutung der Infrastruktur. In der Unterhaltungsbranche müssen die Gesetze der Physik nicht gelten, aber in der Infrastruktur müssen wir sie millimetergenau anwenden. Dafür können wir uns die Fortschritte bei der Visualisierung von Unternehmen wie Nvidia, Unreal und Unity zunutze machen, um Aspekte der Navigation, Simulation und fotorealistischen Visualisierung umzusetzen.
Wir müssen die digitalen Zwillinge der Infrastruktur, iTwins, nutzen, um eine angemessene Ausrichtung, Steuerung und Fülle von Daten zu gewährleisten, die für die Infrastrukturprojekte benötigt werden. Wir müssen jede Plattform so nutzen, dass sie ihre Stärken ausspielt.
Quelle:
Foto: Brigantium Engineering