Besprechungen und Vorträge vor dem Bildschirm wirken auf Dauer ermüdend. Berliner Start-ups setzen auf Zukunftstechnik und virtuelle Realitäten.
Im Hintergrund ist ein alter Hafen mit seinen Lagerhallen zu sehen, am Kai haben massige Segelboote aus Holz festgemacht, eine Ratte flitzt durch das Bild. Erinnerungen an eine alte Hansestadt werden wach, könnte Stralsund, Rostock, Lübeck oder auch Bremen sein. Der Betrachter hat das Gefühl, in die Vergangenheit gebeamt zu werden – ein Trick, den Virtual Reality so besonders gut kann.
Virtual Reality – das ist die Computertechnik, bei der der Betrachter eine massige Brille aufsetzt und dann in eine 3-D-Welt versetzt wird. Die wirkt nach kurzer Gewöhnungszeit so realistisch, dass man fast das Gefühl einer Reise bekommt. Es geht in die historische Welt der ehrbaren Kaufleute. Und dann tritt der Moderator ins Bild. Denn bei dem Projekt des Berliner Start-ups NeXR geht es um die Zukunft der Präsentationen und Vorträge. Gerade in Zeiten, in denen Social Distancing wichtig ist und das Reisen nicht empfohlen wird, gewinnen moderne Präsentationsformen an Bedeutung.
Das Berliner Start-up behauptet von sich, weltweit führend zu sein bei Live-Präsentationen in der Virtual-Reality-Umgebung. NeXR ist im Dezember aus dem Berliner Unternehmen Staramba hervorgegangen. Mit 3-D-Kameras filmten die Vorgänger berühmte Persönlichkeiten wie Manuel Neuer, Helene Fischer und Ralf Moeller ab, machten daraus später teure Plastikfiguren oder verkauften die Avatar-Scans an die Spielebranche. Aber es gab auch Virtual-Reality-Projekte mit Bayern München beispielsweise. Doch dann stimmten die Zahlen nicht mehr, jetzt geht es als NeXR weiter.

Während des Lockdowns im Frühjahr kam dann die Idee auf, „Präsentationen auf ein neues Level zu heben“, sagt Geschäftsführer Markus Peuler. Also treffen sich die Teilnehmer in der digitalen Welt. Bei dem Vorführtermin im Studio in der Charlottenstraße hat Alexander S. Wolf die Rolle des Präsentators übernommen. Er versteht sich als Netzwerker, betreibt eine Agentur und hat in Berlin den Club „Außergewöhnlich“ gegründet, ein Mix aus Wirtschaft und Stadtleben heißt es auf der Webseite. Mit Anzug und Krawatte erscheint er auf dem Bildschirm. Am Beispiel der Hanse erklärt er, wie erfolgreiches Netzwerken funktioniert. Seine Hauptbotschaft: Vertrauen und gemeinsame Werte. Wenn er spricht und gestikuliert, vergisst man fast, dass er gar nicht direkt vor einem steht.
Was so einfach aussieht, ist mit großem technischem Aufwand verbunden. Auf dem Bildschirm ist Wolf im dunklen Anzug zu sehen, im Studio kleben dagegen viele Kabel an seinem Körper. Die Live-Animation ist nur durch das sogenannte Motion Capture möglich. Die Körperbewegungen werden dabei in Sekundenschnelle vom Rechner in Daten umgewandelt, sodass die Bewegungen mit minimaler Zeitverzögerung auf dem Bildschirm zu sehen sind. So ist dann auch Interaktion zwischen dem Mann auf dem Bildschirm und den Teilnehmern möglich. Eine Frage zu stellen, die der Moderator nur mit einer Handbewegung beantwortet, ist kein Problem. So wie im richtigen Leben.
Zuvor musste Wolfs Körper allerdings vermessen und in digitaler Form dargestellt werden, so wie das früher bei dem Vorgänger-Unternehmen schon gemacht wurde, um die 3-D-Figuren herzustellen. Dafür geht die Person in eine Kapsel mit unzähligen Kameras, sodass der Körper tatsächlich präzise vermessen werden kann. Der Avatar erwacht dann, wenn er die Informationen über die Bewegung der realen Person erhält, und bewegt sich dementsprechend auf dem Bildschirm.
Aber dieser komplizierte technische Hintergrund gerät in Vergessenheit während der Präsentation. Der Mann im Anzug erzählt in seinem Vortrag von der politischen Macht der norddeutschen Kaufleute, den Fahrten auf Hoher See und den moralischen Ansprüchen.

Unterstützend nutzt er dazu Grafiken, die er einfach so auf dem Bildschirm erscheinen lassen kann. Die klassische Powerpoint-Präsentation ist eingebettet in die künstliche Welt. Säulendiagramme schießen dann überraschend aus dem Boden, Schlagwörter fallen vom Himmel herab. Was aber leider auch wahr ist: Diese Form der Präsentation ist für viele Menschen noch ungewohnt. Nach knapp einer Stunde meldet sich meine innere Stimme mit dem Wunsch nach einer Pause, auch weil die Kamera warm wird an der Stirn. Bald ist auch Schluss.

Die Bilanz: Eine echte Alternative, in Zeiten von Social Distancing, die allerdings mit erheblichem technischem und organisatorischem Aufwand verbunden ist. Was noch dazu kommt: Kaum jemand besitzt eine VR-Brille, die Headsets müssen jeweils an die Teilnehmer verschickt werden.
Es gibt aber noch ein zweites Berliner Start-up, das die Möglichkeiten von Virtual Reality für den Berufsalltag nutzt. „WeAre“ heißt der Laden, die Software wird am Kottbusser Tor erstellt, die Vermarktung läuft von Bochum aus. Ruhrgebiet, Kohle, Stahl – das sind erste Assoziationen. Und tatsächlich gehören Industrieunternehmen zu den wichtigsten Kunden.
Der 26 Jahre alte Marvin Tekautschitz ist einer der Mitgründer, vor drei Jahren wurde das Start-up gegründet, etwa 15 Leute gehören zum Team. Tekautschitz hat nicht viel Zeit, die Kunden warten. In den vergangenen Jahren haben die Chefs in den eher traditionell orientierten Unternehmen auf Dienstreisen und Besprechungen vor Ort gesetzt. Großer Aufwand, hohe Kosten. Durch Corona und Reisebeschränkungen musste alles anders werden, Virtual Reality wurde als Alternative entdeckt.
Wer an einer digitalen Besprechung teilnehmen will, wählt sich ein, setzt das Headset auf und kann mitverfolgen, wie Maschinen vorgestellt werden. Es geht um Blöcke, es geht um Einzelteile – die Technik macht es möglich, dass die Teilnehmer sogar die Details sehen können. „Als ob die Leute direkt vor Ort dabei wären. Das bietet große Vorteile für die Montage und Fertigung“, sagt Tekautschitz. Und dann ist er auch schon wieder weg. Noch eine letzte Frage: Welche Rolle wird Virtual Reality in Zukunft spielen? „Ich sage jetzt nicht: Leute, schmeißt eure Laptops und Computer weg“, antwortet er, „aber Virtual Reality ist ein hilfreiches Tool in der Trickkiste für modernes Arbeiten.“

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Foto: NeXR
Mit großem technischem Aufwand wird ein künstlicher Avatar erstellt.