1975 führten die Forscher Duncan Godden und Alan Baddeley eine wegweisende Studie durch, die unser Verständnis vom menschlichen Gedächtnis grundlegend veränderte. Sie untersuchten, wie stark der Ort, an dem wir lernen, unser Erinnerungsvermögen beeinflusst. Diese Entdeckung ist heute relevanter denn je, da sie uns helfen kann, immersive Technologien wie Virtual Reality (VR) und Mixed Reality (MR) optimal für Lern- und Trainingszwecke zu nutzen.
Die Studie von Godden und Baddeley: Lernen an Land und unter Wasser
Godden und Baddeley ließen 18 Taucher in zwei verschiedenen Umgebungen, an Land und unter Wasser, lernen und sich anschließend an diese Informationen erinnern. Die Ergebnisse waren bemerkenswert: Die Taucher erinnerten sich besser an die gelernten Informationen, wenn sie sich beim Abrufen in der gleichen Umgebung befanden wie beim Lernen. Dieses Phänomen, das als kontextabhängiges Gedächtnis bekannt ist, zeigte deutlich, dass äußere Umstände wie die Lernumgebung einen signifikanten Einfluss auf unsere Fähigkeit haben, Informationen abzurufen.
Die Studie zeigte, dass unser Gedächtnis eng mit dem Kontext verbunden ist, in dem wir Informationen aufnehmen. Lernen wir unter spezifischen Bedingungen, können wir uns in genau diesen Bedingungen besser an das Gelernte erinnern. Aber was bedeutet das für heutige digitale Lernumgebungen wie VR und MR?
Der Bezug zu VR und MR: Neue Möglichkeiten für kontextabhängiges Lernen
Die Entwicklungen in VR und MR bieten völlig neue Möglichkeiten, um das Konzept des kontextabhängigen Gedächtnisses für das Lernen und Training anzuwenden. Virtuelle Welten können uns nicht nur immersive Erfahrungen bieten, sondern auch maßgeschneiderte Lernumgebungen schaffen, die das Abrufen von Informationen unterstützen.
Kontextgetreues Lernen in VR/MR
VR kann es ermöglichen, Lernende in eine Umgebung zu versetzen, die eng mit den Inhalten verbunden ist. Stellen wir uns vor, ein Medizinstudent lernt komplexe Operationstechniken in einem virtuellen Operationssaal. Wenn er später in derselben virtuellen Umgebung getestet wird, könnte das Abrufen der Informationen viel effektiver sein. Dies ist eine direkte Anwendung des kontextabhängigen Gedächtnisses, die sich aus der Godden-und-Baddeley-Studie ableiten lässt. Durch das Erleben eines konsistenten virtuellen Kontexts kann der Abruf von Informationen deutlich verbessert werden.
Virtuelle Realität als Lernverstärker
VR ermöglicht das Wiedererschaffen von Lernumgebungen in einer Weise, die in der realen Welt kaum umsetzbar ist. Durch das gezielte Wiederholen von Kontexten, in denen Informationen vermittelt wurden, können Lernende ihr Gedächtnis stärken. In MR könnte das bedeutet, dass sie sowohl reale als auch virtuelle Informationen auf eine Weise kombinieren, die den Lernprozess optimiert. Zum Beispiel könnte das Lernen im virtuellen Büro dazu führen, dass der Abruf von Informationen in einem tatsächlichen Arbeitsumfeld erleichtert wird.
Mixed Reality (MR) als Brücke zwischen realer und virtueller Welt
Mixed Reality bietet einzigartige Möglichkeiten, das kontextabhängige Gedächtnis zu nutzen, indem sie die reale Welt mit digitalen Assets kombiniert und so den Lernprozess erweitert. Anders als in VR bleibt in MR die reale Umgebung bestehen, wird jedoch durch virtuelle Elemente ergänzt, die interaktiv in das Lernen eingebunden werden können. Dies erlaubt es, reale Objekte direkt in den Lernprozess einzubeziehen, während gleichzeitig digitale Informationen angezeigt oder Simulationen durchgeführt werden. Zum Beispiel könnte ein Mechaniker in einer echten Werkstatt trainieren und dabei digitale Anweisungen über MR-Headsets erhalten, die auf reale Maschinen projiziert werden. Durch die gleichzeitige Einbindung der physischen Umgebung und digitaler Lernressourcen unterstützt MR das Gedächtnis, indem es den Lernenden sowohl reale als auch virtuelle Kontexte bietet, die eng mit den zu lernenden Aufgaben verknüpft sind. Diese nahtlose Integration von Realität und digitalen Assets stärkt das Gedächtnis und ermöglicht praxisnahes Lernen in vertrauten Umgebungen.
Flexibilität durch personalisierte Umgebungen
Ein Vorteil von VR/MR ist, dass sie dynamische, personalisierte Lernumgebungen schaffen können. Je nach Präferenzen und Bedürfnissen der Lernenden könnten spezifische VR-Szenarien gewählt werden, die das Gedächtnis und den Abruf optimieren. Man könnte eine Umgebung, die beim ersten Lernen am effektivsten war, jederzeit für den Abruf der Informationen nachstellen.
SHIFT Mind Space MR-App nutzt Kontextabhängiges Gedächtnis
Die SHIFT Mind Space MR-App erweitert die reale Welt um virtuelle 3D-Objekte und ermöglicht so immersive Lern-, Arbeits- und Kreativerfahrungen. Sie bietet kollaborative Lern- und Arbeitsumgebungen, die überall und jederzeit zugänglich sind, und unterstützt die intuitive Interaktion mit digitalen und physischen Objekten. Durch die räumliche Darstellung und kontextuelle Interaktion können Nutzer praxisnah neue Inhalte entdecken und kreative Lösungen entwickeln, was ein tiefgreifendes Verständnis fördert.
Fazit und Handlungsempfehlung
Die Studie von Godden und Baddeley zeigt eindrucksvoll, dass unsere Fähigkeit, uns an Gelerntes zu erinnern, stark von der Umgebung abhängt, in der wir diese Informationen aufgenommen haben. VR und MR bieten uns die Möglichkeit, diese Prinzipien in digitalen Welten nutzbar zu machen, indem sie immersive und konsistente Lernumgebungen schaffen.
Für Entwickler von VR- und MR-Anwendungen gibt es eine klare Handlungsempfehlung: Berücksichtigt den Kontext! Durch das Schaffen konsistenter virtueller Umgebungen, die mit den Lerninhalten verknüpft sind, könnt ihr das kontextabhängige Gedächtnis nutzen, um Lernprozesse zu verbessern. Dabei kann die Möglichkeit, Lern- und Abrufumgebungen in VR/MR zu personalisieren, die Gedächtnisleistung und den Lernerfolg entscheidend beeinflussen.
Nutzen Sie VR und MR nicht nur als Technik, sondern als Instrument, das unser natürliches Lernverhalten unterstützt und den Kontext aktiv einbezieht – für erfolgreiches und nachhaltiges Lernen.
„Die Studie von Godden und Baddeley zeigt, dass unsere Gedächtnisleistung eng mit der Umgebung verbunden ist, in der wir Informationen lernen. Virtual Reality (VR) nutzt dieses Prinzip, indem es immersive und konsistente Umgebungen schafft, die das Abrufen von Informationen erleichtern. Durch die präzise Simulation der Lernumgebung in VR können die Effekte des kontextabhängigen Gedächtnisses gezielt verstärkt werden – was das Lernen nachhaltig und effektiv unterstützt.“ – Torsten Fell
Quelle: Torsten Fell